Nachruf auf Kåre Kverneland (1919-2008)

Die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg hat den Tod von Kåre Kverneland zu beklagen. Kåre starb am 25. August 2008 im Alter von 89 Jahren in Stavanger, wie sein Sohn Dag Kåre Kverneland uns mitgeteilt hat.
Kåre Kverneland war der älteste unter den noch lebenden ehemaligen Leonberger KZ-Häftlingen, zu denen wir seit zehn Jahren Kontakt haben. Kverneland hat Leonberg im Oktober 2001 besucht, auf Einladung der Initiative und der Stadt Leonberg. Seither hielt er regelmäßig Kontakt zu seinen Freunden in Leonberg. Seines hohen Alters wegen war es ihm nicht mehr möglich, ein zweites Mal hierher zu kommen. Sein Sohn schrieb am 28. August:
„Mein Vater hatte ein langes und glückliches Leben. Er hatte eine große Familie, vier Kinder, elf Enkel und sechs Urenkel. Was Ihr in Leonberg für ihn getan habt, war sehr gut für ihn. Der Besuch in Leonberg (2001) war sehr schön für ihn. Ich war sehr glücklich, ihn dabei begleitet zu haben. Oftmals hat mein Vater von diesem Besuch gesprochen. Auch über die vielen Briefe hat er sich gefreut.“
Kåre Kverneland gehörte zu 49 Norwegern aus Stavanger, die als so genannte „Nacht- und Nebel-Häftlinge“ („NN“) zunächst in das berüchtigte Stammlager Natzweiler-Struthof im Elsass verschleppt wurden. 27 überlebten die insgesamt drei Jahre in den deutschen KZ. „NN-Häflinge“: so bezeichneten die Nazis verhaftete Mitglieder von Widerstandsbewegungen in besetzten westeuropäischen Ländern. Sie wurden zur Abschreckung seit Dezember 1941 in Isolierhaft in bestimmte Konzentrationslager genommen. Sie durften keinen Kontakt mit ihren Angehörigen haben und im Todesfall wurden die Familien auch nicht benachrichtigt.
Kåre Kverneland war einer von zehn norwegischen Häftlingen, die nach unseren Kenntnissen im Leonberger Konzentrationslager waren. Nach Auflösung des KZ Natzweiler-Struthof angesichts der vorrückenden alliierten Truppen wurden die norwegischen NN-Häftlinge nach Dachau verlegt und so kam Kåre Kverneland auf Anforderung der Firma Messerschmitt am 20. Oktober 1944 nach Leonberg. Er wurde im Tunnel in der Zwölfstundenschicht bei den anstrengenden Nietarbeiten eingesetzt. Trotz der widerlichen Arbeitsbedingungen, der katastrophalen hygienischen Verhältnisse und des Hungers während seines Aufenthalts in Leonberg erinnerte sich Kåre Kverneland auch an eine menschliche Situation. In einem Erlebnisbericht vom Juni 2000 schildert er, wie der deutsche Messerschmitt-Vorarbeiter Johannes Schickinger ihn am Weihnachtsabend 1944 während einer Arbeitspause mit einem Butterbrot, Käse und einem Apfel sowie einer Zigarette beschenkte: „Ich fing an zu singen: ‚Glade Jul Hellige Jul’ (‚Stille Nacht, Heilige Nacht’). Die Tränen kamen. Ehe das Lied fertig gesungen war, und dann war Schluss mit dem Singen. Ich hatte danach eine sehr traurige Stunde. Allerdings, ich war noch am Leben, ich habe gegessen, habe meine Zigarette geraucht.“
Anfang März 1945 kam für Kåre Kverneland und die fünf noch im Leonberger Lager lebenden Norweger die größte Überraschung ihres Lebens, eine Art Wunder. Sie wurden herausgerufen und auf Lastwagen in das KZ-Außenlager Schömberg in Südwürttemberg abtransportiert. Nach einigen Tagen wurden sie von den andern Häftlingen getrennt und Vertreter des schwedischen Roten Kreuzes eröffneten ihnen, dass man sie in ihre Heimat zurück bringen wollte. Tatsächlich konnten sie weiß gestrichene Busse besteigen, die sie zunächst in das „Skandinavierlager“ im KZ Neuengamme bei Hamburg brachte und von dort weiter in ein Lager in Süddänemark. Am 21. April erreichte Kåre Kverneland schließlich über Kopenhagen die südschwedische Hafenstadt Malmö und gelangte damit endgültig in die Freiheit. Der groß gewachsene Mann wog noch etwa 40 Kilo.
Zur selben Zeit befanden sich die Leonberger Mithäftlinge auf dem Todesmarsch durch Bayern. Der Hintergrund der Befreiungsaktion war eine am 19. Februar 1945 in Berlin getroffene Geheimabsprache hinter dem Rücken Hitlers von Reichsführer SS Heinrich Himmler mit dem Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte. Demnach sollten alle KZ-Häftlinge aus den skandinavischen Ländern durch das Schwedische Rote Kreuz zurückgeführt werden, was dann auch geschah. Im Gegenzug wollte Graf Bernadotte Himmler unterstützten bei seinen Bemühungen um einen Separatfrieden mit den Westmächten gegen die Sowjetunion.
Kåre Kverneland, den wir jetzt mit großer Anteilnahme betrauern, schloss seinen Erlebnisbericht vom Juli 2000: „Wir, die wir auf der Fähre nach Malmö waren, waren endlich frei. Unsere Gedanken gingen aber zu all denen, denen Deutschland zum Schicksal geworden war, die vernichtet, gequält, erniedrigt wurden und zuletzt den Tod fanden und im Krematorium endeten.“
Eberhard Röhm


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