Albert Montal hat nichts vergessen

von Sybille Schurr
Rutesheim. Marcel Murschel, der ehemalige Schüler am Gymnasium, zeigt seinen Film über einen einstigen KZ-Häftling.
Leonberger Kreiszeitung, 26. Juni 2010

Eine dreiviertel Stunde dicht gedrängte Filmzeit, beeindruckend, berührend. Und die am Ende die immer wieder gestellte Frage: Wie konnte das geschehen? Ein Jahr lang, von April 1944 bis April 1945, montierten Leonberger Zwangsarbeiter in den beiden Tunnelröhren der Autobahn Flugzeugteile für die Messerschmitt ME 262, die Geheimwaffe, von der sich das NS-Regime eine Wende im bereits verlorenen Krieg erhoffte. 3000 Menschen, die Tag für Tag um ihr Leben kämpften. 3000 Menschen eingesperrt hinter Zäunen, untergebracht in erbärmlichen Baracken, unzureichend ernährt, in einer Stadt, die damals 7000 Einwohner hatte.

Marcel Murschel hat sich für seinen Schulfilm 2008 auf die Spurensuche begeben, hat viel historisches Material gesammelt und geschickt das Heute mit dem Gestern verbunden. Die Vergangenheit, die nur wenige Spuren hinterlassen hat, rückt in die Gegenwart. In den Mittelpunkt seines Films hat Marcel Murschel den französischen Zwangsarbeiter Albert Montal gestellt. Er lässt ihn über sein eigenes Erleben berichten.

Für den jungen Deutschen war die Begegnung mit dem heute 82-jährigen Montal ein Schlüsselerlebnis. Er traf auf einen Menschen, dem kaum beschreibbares zugefügt wurde, der heute mit einem jungen Deutschen über diese Zeit sprechen kann ohne Hass, nicht selten mit feinem Humor.

„La volonté de vivre - Der Wille zu leben“, dieses Zitat aus den Gesprächen hat Murschel als Filmtitel gewählt. „Diesen Willen braucht man, aber auch ein wenig Glück“, sagt Montal. "Ich habe ihn liebgewonnen", sagt Marcel Murschel. Ein Jahr lang hat er an dem Film geschnitten, fast täglich ist ihm Albert Montal begegnet, immer eindringlich sei dies geworden, gesteht Murschel dem Rutesheimer Publikum.

In der Filmmusik, die Marcel Murschel ebenfalls komponiert hat, findet die zweite emotionale Ebene der Auseinandersetzung statt mit einem kurzen, aber entsetzlichen Augenblick in der Geschichte seiner Heimatstadt. Auch am Premierenabend spielt Murschels Band Boodoo Stücke aus der Filmmusik. Neben Albert Montal spielt Eberhard Röhm im Film eine wichtige Rolle. Für den Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative ist auch „heute noch nicht vorstellbar, was damals geschehen ist“. Drei entsetzliche Ereignisse macht er in der Leonberger Stadtgeschichte aus: die Pest, den Stadtbrand und das Jahr 1944 bis 1945, als das KZ-Außenlager existierte.

Ein Ereignis, das über eine Generation lang im Dunkel des Vergessens lag. Dafür schäme er sich heute noch, gestand Eberhard Röhm am Premierenabend. „Erinnerung ist Pflicht“, mahnte der Schulleiter Jürgen Schwarz in seiner Begrüßung. „Durch Erinnern soll man lernen.“ Für Marcel Murschel und viele junge Menschen in Leonberg haben die Stätten der Erinnerung, die mittlerweile von der KZ-Gedenkstätteninitiative eingerichtet wurden, diesen Beitrag geleistet.

Marcel Murschel hat den Auftrag angenommen, sein Film ist ein weiterer Beitrag für das Erinnern. Wie wichtig das ist, zeigte bereits der Premierenabend: Noch immer wissen viele nichts über das Jahr 1944/45. „Ich möchte erreichen, dass man sich auf diesen Film einlässt, dass man mitfühlt“, so Murschel. Auch wenn es eine traurige Geschichte ist, am Ende stehe ein Happy End: Albert Montal ist anders als sein Bruder, der in Deutschland in einem Lager gestorben ist, nach Hause zurückgekehrt.

Er hat die Firma des Vaters weitergeführt, er lebt ein Leben in Wohlstand. Als er nach Hause, nach Charmes am Fuße der Vogesen zurückkehrte, war alles zerstört, doch das erste, wofür seine Mutter sorgte war, dass er in die Schule ging. Albert Montal war 15 Jahre alt, als sein Leidensweg begann.


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