Allein bin ich geblieben im Leben

von Stefan Bolz
Leonberger Kreiszeitung, 26. Juni 2003

LEONBERG - Es ist die wohl ungewöhnlichste Ausstellung, die bislang in den Räumen des Leonberger Stadtmuseums zu sehen war. Mit einem Festakt im Theater im Spitalhof und einer Filmpremiere wurde am Dienstagabend die Bilderschau "Moshe Neufeld - Malerei" offiziell eröffnet.

Fast wäre er untergegangen im proppenvollen Spitalhof. Der Mann, um den sich an diesem Abend alles drehte. Mit bescheidenem Lächeln saß Moshe Neufeld mit seiner Frau und seiner Tochter in der ersten Reihe und grüßte freundlich jeden, den er in den vergangenen Tagen in Leonberg kennen gelernt hat. Was allein schon bemerkenswert ist, schließlich hatte er nach dem Krieg beschlossen, nie wieder an die Stätten seiner Qual zurückzukehren.

Nun aber ist er da - und mit ihm seine Bilder. Und auch einige der anderen Überlebenden des KZ Leonberg sind an diesem Abend gekommen, um die Erinnerung an die fürchterliche Zeit im Lager wach zu halten. In seiner Begrüßungsansprache dankte Leonbergs Erster Bürgermeister Helmut Noë ihnen allen. Denn "nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft positiv gestalten", sagte Noë, und viele der Anwesenden nickten zustimmend.

Dass der Abend im Spitalhof einen besonderen Eindruck hinterließ, lag in den folgenden eineinhalb Stunden auch an Felicitas Lehmann und Franc Quero-Lehmann. Die Pianistin und der Cellist von der Jugendmusikschule hatten die musikalische Umrahmung übernommen und mit viel Gespür für den Anlass passende Werke von Marcel Tournier über Ernst Bloch bis Georg Goltermann ausgewählt.

Nach ihrer besinnlichen Einstimmung begrüßte der frühere Landesrabbiner Joel Berger die Gäste aus Israel auf Hebräisch mit einem Zitat aus den Psalmen. Sein anschließender Festvortrag rückte die Geburtsstadt Moshe Neufelds, das heute rumänische Satu Mare, in den Mittelpunkt. "Bei vielen jüdischen Malern spielen die Orte ihrer Kindheit eine große Rolle", stellte Berger fest und nannte Marc Chagall als Beispiel. Bei Moshe Neufeld sei dies anders - und das nicht ohne Grund. Denn Satu Mare, früher Sathmar, war einst ein bedeutendes jüdisches Zentrum im nördlichen Karpatenbogen. Von den rund 60 000 Einwohnern der Stadt waren fast 20 000 Juden. Es gab jüdische Krankenhäuser, Lehrlingsanstalten, soziale Einrichtungen, Industriebetriebe und natürlich zahlreiche Synagogen. "Heute dagegen ist Satu Mare praktisch judenrein", hob Berger hervor. Die Vertreibung der Juden durch die Ungarn im Jahr 1944 sei beispiellos, zumal sie eigentlich stets ungarische Patrioten gewesen seien.

Ihr Schicksal teilt auch Moshe Neufeld, der als einziges Mitglied einer großen Familie die Deportation nach Auschwitz überlebt hat. "Allein bin ich geblieben im Leben" ist denn auch der Titel eines Films von Vaclav Reischl, der an diesem Abend im Spitalhof Premiere hatte. Das gut halbstündige Werk arbeitet gekonnt mit Gegensätzen: Da steht Moshe Neufeld inmitten von Palmen und Blumen im heimischen Kibbuz und erzählt mit ruhiger Stimme von solch grausamen Erlebnissen, dass dem Zuschauer das Blut in den Adern gefriert. Da spielen Neufelds Enkel auf der heimischen Couch, und die Stimme von Sprecher Stefan Moos zählt staccatoartig und betont kühl die schrecklichen Fakten dieser Zeit auf.

Jene Ereignisse hat Moshe Neufeld in seinen Bildern verarbeitet. "Ich male solche Dinge nicht mehr. Ich habe meinen Frieden gemacht", sagt er am Schluss des Films. Wer ihn nach der Vorstellung im Stadtmuseum beobachtete, konnte das sehen. Freundlich lächelnd stand er zwischen all den Besuchern, ein netter älterer Herr. Und nur die eintätowierte Nummer "A 12826" auf seinem Arm erinnert daran, dass da jemand ist, der diese Hölle wirklich überlebt hat. Als einziger einer großen Familie.

Die Ausstellung "Moshe Neufeld - Malerei" ist noch bis zum 16. November im Stadtmuseum Leonberg, Pfarrstraße 1, zu sehen. Geöffnet Dienstag bis Donnerstag von 14 bis 17 Uhr sowie sonntags von 13 bis 18 Uhr. Auskünfte unter 0 71 52/9 90 14 22. Im Museum kann auch der Film über Moshe Neufeld auf Video angesehen werden.


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