Besucher gehen den "Weg der Erinnerung"

von Peter Meuer
Auf den Spuren des KZ Leonberg
Leonberger Kreiszeitung, 15. April 2008

Leonberg. Vor 63 Jahren und zwei Wochen haben die Nazis begonnen, das Konzentrationslager Leonberg zu räumen. Am Sonntag führten Renate Stäbler und Holger Korsten von der KZ-Gedenkstätteninitiative über den "Weg der Erinnerung".
Die Zahl "389" fällt oft, wenn über die Opfer des Konzentrationslagers Leonberg gesprochen wird.

Die Zahl rekonstruierten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg anhand der Knochen, die sie im Massengrab auf dem Blosenberg fanden.

Hinzukommen die 16 Leichen, die in den ersten Wochen des Außenlagers nach Stuttgart überführt worden waren. "Aber viele Menschen sind auch noch während der Fahrten nach Bayern gestorben", erklärt Renate Stäbler von der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative. "Als das Lager geschlossen wurde, weil die alliierte Armee vorrückte." Manch einer sei zudem schon vorher in ein Sterbelager abgeschoben worden, nach Vaihingen, Bergen-Belsen, Dachau. Wie viele Häftlinge insgesamt während des Aufenthalts im Leonberger KZ oder kurz danach umgekommen sind, kann niemand genau sagen.

Aber Menschen fassen auch das Unglück gerne in Zahlen zusammen. Und vermutlich ist es auch leichter, eine konkrete Zahl auf einen Grabstein zu schreiben, als ein Wort wie "unzählig". So steht auch auf dem großen Grabstein im hinteren Teil des Leonberger Friedhofes an der Seestraße diese Zahl. Hierhin wurden die Gebeine der Toten vom Blosenberg gebracht und beerdigt. Einige wurden auch in ihre Heimatland überführt, nach Frankreich, Italien oder in ein anderes Land.

Die amerikanischen Soldaten hatten damals auf eine ordentliche Bestattung gedrängt. "389 Söhne vieler Völker Europas wurden hier Opfer der Gewalt", liest Renate Stäbler vor. Im Halbkreis um sie herum stehen die Besucher, die sie an diesem Sonntag über den "Weg der Erinnerung" führt, 63 Jahre und wenige Tage, nachdem das KZ von den Wachmannschaften geräumt wurde und die Firma Messerschmitt ihre Maschinen aus dem Engelbergtunnel in Sicherheit brachte.

Im Konzentrationslager Leonberg, einem Arbeitslager, hatten die Häftlinge in Zwölf-Stunden-Schichten zu schuften, danach mussten sie zurück in ihre Baracken an der Seestraße. Funktionsfähige Aborte gab es bis zuletzt im Tunnel nicht, im Lager selbst fehlte Wasser, Fleckfieber und Typhus griffen um sich. Wenn Häftlinge starben, wurden sie von neuen Gefangenen ersetzt.

"Der Text auf dem Grabstein vernebelt, er sagt nicht, unter welchen Umständen die Häftlinge lebten", sagt Renate Stäbler. Als der Stein 1962 aufgestellt wurde, sei es noch nicht weit her gewesen mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland. "Die Menschen wollten sich noch nicht damit beschäftigen", erläutert Stäbler, "das kam erst mit den Studenten, die nach der Schuld der Väter fragten."

Auch die rund 30 Besucher der Führung richten Fragen an Renate Stäbler und Holger Korsten. Die Gäste wollen wissen, wie gerade einmal 60 Wachleute bis zu 3000 Häftlinge unter Kontrolle halten konnten. "Sie setzten einige Gefangene als Funktionshäftlinge ein", erklärt Renate Stäbler, "diese halfen bei der Organisation."

Ob denn die Leonberger damals nichts gesehen hätten? "Was hier vor sich ging, wussten die Menschen", sagt Renate Stäbler, das Gelände sei gut einsichtig gewesen, außerdem hätten Einheimische direkt am Lager gewohnt. Manch einer hätte auch versucht zu helfen, den Gefangenen mal ein Stück Brot oder einen Apfel zugeworfen. "Aber sie hatten selbst Angst, nicht nur vor den Wachmannschaften, sondern vor den enttäuschten Blicken der Häftlinge, die nichts bekamen."

Der Rundgang endet am Samariterstift, doch Holger Korsten geht mit einigen Besuchern noch weiter zum Tunnel. Er zeigt ihnen die Gedenktafel mit den Namen der Häftlinge und erzählt, dass im Sommer im Tunnel eine Ausstellung eröffnet werden soll. "Ganz aufgearbeitet ist das alles wohl noch nicht", sagt eine Besucherin zu Renate Stäbler. "Oh nein, weiß Gott nicht", antwortet sie.


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