Cima wird zum Symbol des Erinnerns

von Daniel Renkonen
Bürger aus Sesto San Giovanni und Leonberg gedenken gemeinsam den im KZ Leonberg umgekommenen Arbeitern
Leonberger Kreiszeitung, 18. September 2006

Leonberg. Am 18. Februar 1945 ist der italienische Arbeiter Giovanni Cima im KZ Leonberg umgekommen. 36 seiner Landsleute teilten sein Schicksal. Seit gestern erinnert eine Gedenktafel mit Cimas Namen auf dem Friedhof an der Seestraße gegen das Vergessen des Nazi-Terrors.

Es ist ein sehr bewegender Moment, als Giuseppe Valota die Marmortafel zu Ehren des Arbeiters Giovanni Cima aus der lombardischen Industriedstadt Sesto San Giovanni enthüllt. Es herrscht gespenstische Stille, die Anwesenden sind zu Tränen gerührt. Zum Vorschein kommt eine helle Tafel, auf der unter anderem der denkwürdige Schlusssatz steht: "Wir, die Einwohner von Sesto San Giovanni, und ihr, die Einwohner Leonbergs, sind uns einig: Erinnern heißt Wissen. Wissen heißt Freiheit. Lasst uns der Erinnerung eine Zukunft geben."

Valota ist Präsident der Associazione Nazionale dei Deportati Politici nei Lager Nazisti (ANED). Das ist eine Vereinigung für die ins KZ deportierten Italiener. Zusammen mit einer kleinen Delegation ist Valota aus Sesto San Giovanni, einer 80 000-Einwohner-Stadt bei Mailand, nach Leonberg gereist. Valota macht einen gefassten Eindruck, als er über das dunkle Kapitel der Geschichte spricht. Er redet auch im Namen von Bürgermeister Giorgio Oldrini, der gerne selbst gekommen wäre, aber terminlich verhindert ist. Für Valota steht der Name Giovanni Cima stellvertretend für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und Faschismus: "Die Arbeiter haben nicht nur ihre eigene Freiheit, sondern auch die aller Italiener verteidigt." Er dankt ausdrücklich der KZ-Gedenkstätteninitiative: "Ich bin sehr glücklich, dass die Verantwortlichen und Bürger von Leonberg sich entschlossen haben, an diese traurige Seite der Geschichte zu erinnern."

Die Marmortafel zu Ehren Cimas soll bewusst keine alten Wunden aufreißen, sondern die Namen der 337 toten KZ-Häftlinge auf dem Friedhof lebendig machen. Das Denkmal ist damit ein weiterer Stein gegen das Vergessen dieses dunklen Kapitels der Leonberger Stadtgeschichte. "Mit dieser Tafel, die sie uns schenken, fügen sie ein Mosaiksteinchen in unseren Weg der Erinnerung", dankt Eberhard Röhm, der Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative, seinen italienischen Freunden.

Für Röhm und seine Mitstreiter ist der gestrige Tag ein besonderes Datum gewesen. Denn: Erstmals wird auf einer Gedenktafel des Friedhofs der Name des Lagers in Leonberg genannt. "Und ihr nennt einen Namen, den Namen eures Mitbürgers Giovanni Cima", ergänzt Röhm in seiner sehr einfühlsamen Ansprache. Für den Vorsitzenden der KZ-Gedenkstätteninitiative ist es vor allem die symbolische Bedeutung des Namens, die so bedeutend ist: "Ein einzelner Name ist uns wichtig. Der eine Name, das eine Gesicht, sagt mehr als eine große Zahl." Ein Einzelner, der sinnlos sterben musste, "war schon einer zu viel", fügt Röhm hinzu.

Cima war einer von hundert Arbeitern aus Sesto San Giovanni, der von den Nationalsozialisten über mehrere Stationen deportiert wurde (siehe unten). Sechs der italienischen Arbeiter aus dem KZ-Lager in Leonberg wurden ins Sterbelager nach Vaihingen/Enz im Kreis Ludwigsburg abgeschoben, wo sie unter qualvollen Umständen gestorben sind. In Vaihingen/Enz hat sich ebenfalls ein Verein etabliert, der die dunkle Vergangenheit Deutschlands systematisch aufarbeitet. Der Lehrer Jörg Becker, der zweite Vorsitzende des dortigen Vereins, reiste gestern eigens zur Gedenkfeier an. Bereits am Samstag hatte die kleine italienische Delegation mit ihren Leonberger Freunden das KZ in Vaihingen/Enz besucht, um auch dort an die vielen toten Häftlinge zu erinnern.

Für die Stadt Leonberg ist diese Form der Vergangenheitsbewältigung von besonderer Bedeutung. Das unterstrich der Erste Bürgermeister Helmut Noë gestern auf dem Friedhof. "Die Arbeit des Erinnerns trägt zur Erhaltung und Sicherung des Friedens bei", steht für Noë fest. Nur wer die Vergangenheit kenne, könne die Zukunft gestalten.

Die Stadt sicherte den italienischen Gästen zu, dass Leonberg mit Hilfe seiner Bürger den eingeschlagenen Weg der Erinnerung weitergehen werde. "Es ist für uns ganz wichtig, dass wir eine Gedenkstätte haben." Die Nachforschungen über das Wirken der Nationalsozialisten in der Stadt wird sicherlich noch Jahre dauern. Dank des Engagements der Gedenkstätteninitiative konnte die dunkle Vergangenheit bereits intensiv durchleuchtet werden.

Bei ihren Recherchen hat die Initiative zum Beispiel herausgefunden, dass Giovanni Cima umgebettet worden ist. Zusammen mit 23 weiteren Italienern wurde er nach dem Krieg auf dem Waldfriedhof in München begraben. Dort haben sie laut Röhm bis heute ihre letzte Ruhestätte gefunden.


Zentrum des Widerstands

Die Industriestadt Sesto San Giovanni ist zum Symbol des Widerstandes gegen die Nazis geworden. Das einstige Dorf liegt rund zwölf Kilometer nordöstlich von Mailand entfernt. Mittlerweile leben 80 000 Einwohner in der Stadt. Während der deutschen Besatzung lebten zehntausende von Fabrikarbeitern in der Stadt. Viele von ihnen waren Kommunisten, die sich dem Faschismus und Nationalsozialismus entgegenstellten. 1943 und 1944 streikten tausende von Arbeitern, obwohl ihnen die Deportation in ein KZ drohte. 110 der Widerstandskämpfer wurden einfach erschossen. 558 Arbeiter wurden in Konzentrationslager verschleppt, wo letztlich 230 von ihnen umgekommen sind. Giovanni Cima ist einer von ihnen. Seine Gedenktafel auf dem Leonberger Friedhof erinnert an das Schicksal der Naziopfer.


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