Das Leiden und Sterben im Leonberger Tunnel

von Ulrich Hanselmann
KZ-Dokumentationsstätte wird am Sonntag eröffnet
Stuttgarter Nachrichten, 27. Juni 2008

Leonberg - Der alte Engelbergtunnel ist zugeschüttet - bis auf 25 Meter am Südeingang der Weströhre. Dort wird jetzt eine Zeit dokumentiert, in der kein Verkehr über die Autobahn rollte:1944/45 schufteten und starben KZ- Häftlinge im Leonberger Tunnel.

Noch wird an der Dokumentationsstätte gearbeitet, doch das Interesse daran ist bereits groß. „Fünf Schulklassen haben sich für nächste Woche angemeldet", sagt Eberhard Röhm. Der pensionierte Pfarrer ist Vorsitzender der 1999 gegründeten KZ-Gedenkstätteninitiative, die das dunkle Kapitel in Leonbergs Geschichte erhellt. Vor allem junge Menschen sollen daraus lernen.

Wenn die KZ-Dokumentationsstätte an diesem Sonntag eröffnet wird, sind auch sieben Überlebende des NS-Terrors dabei. Einer davon ist Avraham Ary. Geboren 1928 in Polen, in Auschwitz zu medizinischen Versuchen und in Leonberg als Arbeitssklave missbraucht. Sein Schicksal wird in der Ausstellung beispielhaft für die vermutlich etwa 5000 Leonberger KZ-Häftlinge festgehalten. Ary lebt heute in Israel.

Der erste Reichsautobahntunnel, erbaut in den Jahren 1935 bis 1938, war von Frühjahr 1944 bis April 1945 eine Produktionsstätte der Rüstungsindustrie. Die Gefangenen fertigten Tragflächen für das Düsenkampfflugzeug ME 262 der Firma Messerschmitt. Bis zu 18 Stunden am Tag mussten sie in der feuchten Kälte des Tunnels schuften, und es gab „Schläge, immer Schläge", berichtete Pjotr Kudrjaschow 1999 Leonberger Schülern von seinem schlimmsten Lebensabschnitt. Der Ukrainer war von SS- Männern verschleppt worden.

Der alte Engelbergtunnel hat seit September 1998 als Autobahn ausgedient. Die beiden Röhren, 287 und 318 Meter lang, wurden von Oktober 2007 bis Februar 2008 verfüllt. Lange war unklar gewesen, ob Röhm und seine Mitstreiter ihr Projekt Dokumentationsstätte verwirklichen können. Seit Mai 2005 erinnert am Tunneleingang eine drei Meter hohe und 25 Meter lange Namenswand an die bekannten 2908 Nazi-Opfer. Nachweislich starben 398 Gefangene in Leonberg.

Für die rund 60000 Euro teure Dokumentationsstätte am Ort des Leidens hat die Initiative 40 000 Euro von der EU und Spenden namhafter Firmen bekommen. Mit dem Geld werden auch die Reise- und Aufenthaltskosten für die 34 Gäste bestritten, die zur Eröffnung erwartet werden: Die sieben Überlebenden aus Israel, Italien, den Niederlanden und der Ukraine, zwei Witwen und Verwandte von Opfern.

Die Ausstellung im alten Engelbergtunnel ist am Sonntag, 28. Juni, von 11.15 Uhr bis 16 Uhr zu sehen. Danach ist sie am ersten Sonntag des Monats (März bis Oktober) von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Für Schulklassen und Gruppen gibt es Sonderführungen.


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