Das Leonberger KZ vernichtete durch Arbeit

von Daniel Renkonen
Leonberger Kreiszeitung, 30. März 2005

LEONBERG - "Leonberg war früher eine Hochburg der Nazis", sagt Renate Stäbler von der KZ-Gedenkstätteninitiative. Die Spur der Schreckensherrschaft führte vor 60 Jahren über die Bahnhofstraße in das ehemalige Leonberger Konzentrationslager in der oberen Seestraße. Zusammen mit über 30 Bürgern begab sich Stäbler am Sonntag auf Spurensuche.

Mindestens 389 KZ-Häftlinge kamen in dem Arbeitslager in der Stadt unter dem Engelberg ums Leben. Viele von ihnen starben an Unterernährung oder an tödlichen Krankheiten wie Fleckfieber oder Typhus, die in dem überfüllten Lager grassierten.

Die KZ-Gedenkstätteninitiative hat sich zum Ziel gesetzt, diesen dunklen Teil der Geschichte aufzuarbeiten, statt ihn zu verschweigen. Seit 1999 forscht die gemeinnützige Initiative über die Geschichte des Lagers sowie die Zwangsarbeit. Außerdem ist es ihr gelungen, den Kontakt zu ehemaligen Häftlingen herzustellen. Einige der Überlebenden haben nicht mehr die psychische Kraft, sich den einstigen Ort des Grauens anzuschauen. Sie können ihn nicht ertragen.

Um die Geschichte lebendig werden zu lassen, wurden in der Stadt sechs Stationen eines Gedenkpfades mit Informationstafeln eingerichtet. Renate Stäbler ist den Weg mit 35 Bürgern am Ostersonntag abgegangen. Ihre erste Station war gleich am alten Friedhof an der Seestraße, wo die Gebeine vieler Häftlinge nachträglich beerdigt wurden. Die meisten der Opfer wurden wegen des damals herrschenden Rassenwahns verfolgt. Die Nazis hielten sie gefangen, weil ihre religiöse und politische Haltung nicht zur kruden Ideologie der Nationalsozialisten passte. "Die Häftlinge sind als Asoziale oder Kriminelle bezeichnet worden, um das KZ-System zu rechtfertigen", erläuterte Stäbler während der Führung.

Nach langem Hin und Her beauftragte die Stadt die Kriegsopferfürsorge, einen Gedenkstein zu errichten. "Irreführenderweise stehen auf dem Gedenkstein aber falsche Jahresangaben", gab Stäbler zu bedenken. Denn die Jahreszahlen 1939 bis 1945 erwecken ihrer Ansicht nach den Eindruck, als würde es sich um "Kriegsopfer" handeln. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Im Gegenteil: Das Arbeitslager war ein von der SS geführtes Außenlager des KZ in Natzweiler. "Es war kein Vernichtungslager wie beispielsweise Auschwitz", machte Stäbler den interessierten Besuchern klar. "Vernichtet wurde nicht durch Gas, sondern vielmehr durch Arbeit."

Mehrere hundert Zwangsarbeiter aus 24 verschiedenen Ländern hatten die Nazis zwischen dem Frühjahr 1944 und April 1945 eingepfercht, gegen Kriegsende stieg ihre Zahl auf 3000 Gefangene an. Nach Recherchen der Leonberger Kirchen und der Gedenkstätteninitiative arbeiteten die Häftlinge fast ausschließlich für das "Presswerk Leonberg", Teilbetrieb der Messerschmitt AG in Augsburg. Die Firma fertigte in beiden Tunnelröhren Tragflächen für den Düsenjäger ME 262. Deshalb sperrten die Nazis den Engelbergtunnel für den Verkehr und bauten ihn um.

Die Teilnehmer an der Führung konnten sich in der stillgelegten Röhre selber ein Bild machen. Heute erinnert fast nichts mehr an die Grausamkeiten von damals. Das Leonberger KZ hatte nur eine Funktion: Es sollte der Rüstungsindustrie schnell und billig Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. Auf die Nachfrage eines Besuchers, ob denn die Firma Messerschmitt in den Zwangsarbeiterfonds mit eingezahlt habe, zuckte Renate Stäbler mit den Schultern: "Ich kann das gar nicht genau sagen." Tatsache sei aber, dass sich das Unternehmen bei der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit über das KZ-Arbeitslager in Leonberg sehr "unkooperativ" verhalten habe.


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