Das muss der blanke Horror gewesen sein

von Marius Venturini
Manfred Kern, kulturpolitischer Sprecher der Grünen im Stuttgarter Landtag, hat die KZ-Gedenkstätte im alten Engelbergtunnel besucht. Während seiner Amtszeit möchte er Station bei allen gut 60 Einrichtungen in Baden-Württemberg machen.
Leonberger Kreiszeitung, 19. Januar 2012

Noch am Vormittag hat Manfred Kern die neu eingerichtete Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen besucht. Nun begrüßt ihn Eberhard Röhm von der KZ-Gedenkstätteninitiative am Parkplatz des Leonberger Samariterstifts. Mit dabei sind unter anderem der Grünen-Landtagsabgeordnete Bernd Murschel sowie Jutta Fischer-Fritsch, parlamentarische Beraterin der Grünen-Fraktion. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zur Gedenkstätte im alten Engelbergtunnel.

"Dass Manfred Kern von sich aus zu uns kommt", sagt Eberhard Röhm, "ist eine Anerkennung für unsere Arbeit." Und mindestens genau so erfreut wie über den Besuch zeigt sich der Vorsitzende der Initiative über die Erhöhung der Zuschüsse für die Gedenkstätten des Landes.

Statt 100 000 Euro schüttet das Land von nun an jährlich die doppelte Summe aus. "Die Vielfalt dieser Einrichtungen muss unterstützt werden", sagt Manfred Kern, der die Aufstockung gemeinsam mit den anderen Landtagsfraktionen erreicht hat. In Baden-Württemberg existieren, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, hauptsächlich kleine Gedenkstätten, die unter der Obhut von Ehrenamtlichen stehen. "Bei der Erhöhung des Etats geht es keinesfalls darum, nun überall hauptamtliche Kräfte einzustellen", präzisiert Kern. Vielmehr wolle man den Initiativen ermöglichen, mehr Sachmittel anzuschaffen.

Im Tunnel angekommen, erläutert Eberhard Röhm den Gästen, welche Szenen sich dort abgespielt haben. Um den Lautstärkepegel zu veranschaulichen, der damals beim Vernieten der Flugzeugtragflächen geherrscht haben muss, rüttelt er einmal heftig an einem Stück Blech, das auf einem der Metalltische liegt - der Lärm ist unerträglich.

"Ich bin sowieso sehr geräuschempfindlich", sagt Kern, "und das muss der absolute Horror gewesen sein." Doch nicht nur das beeindruckt die anwesenden Politiker. Auch Röhms Beschreibungen der Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse hinterlassen ihre Spuren. "Ich weiß gar nicht, wie ich das ausdrücken soll", so Kern auf dem Rückweg in Richtung Seestraße, "ich bin immer noch zutiefst bewegt." In seinen Augen haben die Firmen, die einst von den KZs profitiert haben, nicht genug Reue gezeigt: "Ich bin der Meinung, dass diese Konzerne heute die gesamten Gedenkstätten tragen müssten." Und das sei nicht nur, wie in Leonberg, der Flugzeugbauer Messerschmitt gewesen.

Im Anschluss formuliert Eberhard Röhm die Pläne der KZ-Gedenkstätteninitiative. "Wir wollen auf jeden Fall ein Archiv einrichten", sagt er, "denn wir haben unendlich viele Dokumentenkopien, Tonbandaufnahmen und schriftliche Interviews mit Zeitzeugen." Die gelte es angemessen einzulagern und gleichzeitig zugänglich zu machen.

Für Manfred Kern geht die Reise in den kommenden Wochen weiter. Gut 60 KZ-Gedenkstätten gibt es im Land - er möchte alle besuchen. "Wenn möglicherweise ich auch nach Natzweiler und nach Gurs in den Pyrenäen", sagt er.


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