Das Sterben war allgegenwärtig

von Stefan Bolz
Leonberger Kreiszeitung, 26. April 2003

Seit fast vier Jahren versucht die Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative, die Erinnerung an das Konzentrationslager in der oberen Seestraße, an Zwangsarbeit, Hunger und Tod wachzuhalten. Am kommenden Dienstag nun stellt die Initiative ihr neuestes Projekt vor: Im Kino in der Grabenstraße ist zum ersten Mal der Film "Überlebende des KZ Leonberg" zu sehen.

Im Oktober 2001 waren auf Einladung der Stadt ehemalige Zwangsarbeiter aus dem KZ, einige ihrer Angehörigen sowie einstige Gefangene der Gestapo nach Leonberg gekommen. Für viele dieser Männer war es das erste Mal, dass sie in jene Stadt zurückkehrten, in der sie für den deutschen Traum vom Endsieg fast zu Tode gequält worden waren - als Zwangsarbeiter von Messerschmitt, die im alten Engelbergtunnel Tragflächen für den Düsenjäger Me 262 herstellen mussten.

Durch die Vermittlung des Mitglieds der Gedenkstätteninitiative, Volger Kucher, konnte damals der Stuttgarter Filmemacher Vaclav Reischl in der aufgelassenen Engelberg-Röhre Interviews mit zwölf Überlebenden jener Zeit führen. Das Ergebnis sind eindrückliche Aufnahmen, in denen die tiefe Betroffenheit der Menschen am Ort ihres Leidens spürbar wird.

Ermutigt durch diese Erfahrung, reiste Reischl im April, Juni und Oktober 2002 nach Israel, Tschechien und Polen, um fünf weitere ehemalige Zwangsarbeiter zu interviewen. Fast 40 Stunden Filmmaterial hat er so zusammengetragen. Allein das sei bereits eine wichtige Aufgabe gewesen, betont der Vorsitzende der Gedenkstätteninitiative Eberhard Röhm.

Aus diesem Rohmaterial hat der Stuttgarter Filmemacher in Zusammenarbeit mit Volger Kucher und Peter Grohmann, beraten von Eberhard Röhm und Ingrid Bauz, einen 36-minütigen Film erstellt. Er beginnt mit einem Schwenk über das winterliche Leonberg, das fast ein wenig romantisch daliegt mit all dem Schnee auf den Dächern, der im Sonnenlicht glitzert.

Doch der Winter, von dem die ehemaligen Häftlinge dann erzählen, war alles andere als romantisch. "Ich war damals so krank, ich konnte den Hunger nicht mehr spüren", erinnert sich etwa Claude Brignol an jenen Dezember 1944, als Typhus und Fleckfieber unter den ausgezehrten Gefangenen zahlreiche Opfer forderten. Untergebracht in halbfertigen Baracken, auf dem nackten Betonboden schlafend, halb erfroren unter dünnen, feuchten Papiersäcken, kannten die jungen Männer nur eines: "Appell, Tunnel, Arbeit. Appell, Tunnel, Arbeit. Wie ein Karussell", so der Überlebende Witold Gracz.

Der Film besticht durch seine dichte, fast beklemmende Atmosphäre. Etwa wenn Haim Ary, der Sohn von Avraham Ary, in einem der Interviews im Tunnel von der Unfähigkeit seines Vaters berichtet, von dieser Zeit zu erzählen. Sein Vater steht dabei unmittelbar hinter ihm - und selbst im Gegenlicht ist zu erkennen, wie sehr die Erinnerungen Avraham Ary zu schaffen machen. Mit gerade einmal 16 Jahren war er einst nach Leonberg gekommen. Nur wenig älter also als seine Enkelin, die ihn im Film fragt, was er denn in dieser Stadt gemacht habe. "Ich habe dort Flugzeuge gebaut, richtige Flugzeuge", sagt darauf der Mann, der Auschwitz überlebt hat. Auschwitz, Mauthausen, Flossenbürg, Groß Rosen - die Vernichtungslager der Nazis scheinen im heutigen Bewusstsein weit weg. Doch für die Überlebenden gehört zu diesen Orten des Schreckens auch Leonberg. Dies bewusst zu machen, ist eine besondere Leistung des Films.

Die Filmdokumentation "Überlebende des KZ Leonberg" wird im Rahmen des Programms des Leonberger Filmforums am Dienstag, 29. April, um 20 Uhr im Filmtheater Grabenstraße gezeigt. Im Anschluss an die Vorführung besteht die Möglichkeit zum Gespräch mit ehemaligen KZ-Häftlingen und dem Autor Vaclav Reischl. Da sich bereits ein reges Interesse abzeichnet, bitten die Veranstalter um Kartenreservierung unter 0 71 52/2 66 40 oder per Fax unter 0 71 52/35 91 90.


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