Der Weg der Erinnerung führt zu authentischem Gedenken an das Leonberger KZ-Außenlage

von Michael Schmidt
Leonberger Kreiszeitung, 28. Januar 2003

Geschichtsunterricht auf greifbare Art und Weise - Herrenberger Schüler auf dem "Weg der Erinnerung"
Der "Weg der Erinnerung" ist nicht neu. Häufig gehen Gruppen und Schulklassen ihn, geführt durch sachkundige Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätteninitiative: Sie begegnen der Geschichte des Holocaust, mitten in Leonberg.

Ein bisschen anders als sonst war der Besuch gestern dann doch. Als um 11 Uhr ein Bus aus Herrenberg am Leonberger Seegarten hielt, sprangen knapp 50 Teenager heraus, neben den Lehrern begrüßte die SPD-Landtagsabgeordnete Birgit Kipfer auch den Vorsitzenden der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative, Eberhard Röhm. Mit dem Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie" hat die Politikerin die Reise in die historische Vergangenheit organisiert.

Entstanden ist die Idee bereits vor drei Jahren. Juso-Mitglieder hatten damals bei ihrer Landtagsabgeordneten angefragt, ob man nicht zum Holocaust-Gedenktag neben theoretischen Vorträgen für Jugendliche Fahrten an die Stätten des Grauens anbieten könne. Auf eine erste Anfrage bei den Schulen im Oberen Gäu erhielt die Abgeordnete aus Gärtringen plötzlich eine Rückmeldung von mehr als 250 Anmeldungen - so viele wollten zu einer Exkursion ins ehemalige Konzentrationslager nach Dachau mit. "Plötzlich war es dann ein Kostenproblem", erinnert sich Kipfer heute. Damit Sponsoren und überparteiliche Gruppen sich hier engagieren können, wurde eine lokale Sektion des Geschichtsvereins gegründet. Im Bundesvorstand wirken unter anderem Hans Koschnik und andere Politiker mit.

Auch Birgit Kipfer hätte sich gewünscht, noch mehr Parlamentskollegen bei solch einer Fahrt dabeizuhaben. Doch die offizielle Gedenkfeier des Landes fand gestern auf dem Kuhberg bei Ulm statt. "Da hätte ich auch dabei sein können. Doch an diesem Tag etwas mit jungen Menschen zu machen, halte ich für sinnvoller", sagt die Abgeordnete und folgt einer kleinen Gruppe um Wolfgang Schiele, einem Mitglied der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative.

Häufig führen die ehrenamtlichen Mitglieder des Leonberger Vereins Gruppen und Schulklassen über den "Weg der Erinnerung". Eberhard Schmalzried, der dritte Mitarbeiter, der an diesem kühl-nassen Vormittag eine Teilgruppe der knapp 50 Jugendlichen führt, lotst die 15- bis 17 -Jährigen zum Auftakt auf den Alten Friedhof. Noch scheint Restwärme von der gemütlichen Omnibusfahrt unter den Daunenjacken gespeichert, noch zittern die Mädchen nicht, noch sind die Schlaghosen vom Regen nicht nass.

Der Empfang, den Tausende von KZ-Häftlingen in Leonberg erleben mussten, war ein anderer, macht Schmalzried deutlich. Auch die anderen beiden Mitarbeiter weisen immer wieder auf den schnurgeraden Weg, heraus aus den Güterwagen, die Bahnhofstraße, die Seestraße hinauf.

Trotz Vorbereitung im Unterricht können die jugendlichen Teilnehmer der Exkursion sich nur schwer vorstellen, wie beispielsweise das so genannte Neue Lager auf dem Gelände des Samariterstifts wohl ausgesehen haben mag. Und erst recht nicht das Alte Lager. Heute stehen hier gepflegte Vorgärten und hübsche Einfamilienhäuschen. Interessiert werden die Hinweise auf den Tafeln von den Schülern studiert.

Auffällig ruhig laufen die drei Gruppen schließlich hinauf zum Damm der ehemaligen Autobahn. Auf dem matschigen Plateau vor dem Tunnelportal aus Buntsandstein erinnert kaum mehr etwas an die alte Autobahn, schon gar nicht an das "Presswerk" - der Tarnname des ehemaligen Rüstungsbetriebes. Unzählige KZ-Häftlinge sind durch Schwerstarbeit zu Tode gekommen. Die alte Tunnelröhre, feucht und immer moderig, spricht für sich. Viel müssen die Leonberger Geschichts-Guides nicht mehr sagen. Spätestens jetzt, da die Turnschuhe nass, die Beine nach eineinhalb Stunden Unterwegssein schmerzen, ist das Grauen dessen, was sich vom Frühjahr 1944 bis April 1945 in Leonberg abspielte, erlebbar.

Später dann, in der Blosenbergkirche, wird im Gespräch und in der Anschauung noch mal mehr deutlich, dass die 389 namentlich bekannten Opfer der Leonberger KZ-Außenstelle wohl nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Opferzahl in Leonberg darstellen. Es bleibt ein ruhiger Schulausflug. Niemand tobt, kaum eine oder einer kichert. "Der Vorteil ist, dass alle Teilnehmenden freiwillig dabei sind", sagte Kipfer, die mit dem Verlauf sehr zufrieden ist - und ganz nebenbei noch Anregungen für eine ähnliche Geschichtsinitiative im Oberen Gäu mitnehmen will. Auf einem ehemaligen Flughafengelände in Tailfingen befand sich ebenfalls eine KZ-Außenstelle. "Das ist heute eine Brache, und nur eine verwitterte Gedenktafel erinnert an die Geschichte des Geländes", sagt die SPD-Abgeordnete.

Über die Blosenbergkirche, in deren Räume sich die Schüler aufwärmen, geht es weiter an das offizielle Mahnmal am Blosenberg. Erst um 14 Uhr bringt der Bus die Jugendlichen zurück ins Gäu. Der Förderschullehrer Rolf-Dieter Kittel, der mit fünf Schülern an der Exkursion teilnahm, weiß, dass jetzt die meiste Arbeit folgen wird. "Das, was wir gesehen haben, müssen wir jetzt im Unterricht noch ausführlich nacharbeiten."

Bildunterschrift: Knapp 50 Schüler mit ihren Lehrern folgten der Einladung der SPD- Landtagsabgeordneten Birgit Kipfer zu einer Exkursion nach Leonberg. Die KZ-Gedenkstätteninitiative führte über den Weg der Erinnerung zur KZ-Außenstelle am alten Engelbergtunnel.


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