Die Erinnerung an die NS-Gräuel bleibt wach

von Sybille Schurr
Die KZ-Gedenkstätteninitiative hat einen Text-Bildband präsentiert, der mehr ist als eine Dokumentation.
Leonberger Kreiszeitung, 6. Dezember 2010

Der großformatige Band, den Holger Korsten und Eberhard Röhm gemeinsam erarbeitet haben, ist einerseits eine Dokumentation, greift aber darüber hinaus Fragen auf, mit denen die Autoren Korsten und Röhm bei Führungen durch die Ausstellung in der Gedenkstätte immer wieder konfrontiert werden.

Am frühen Sonntagnachmittag traf sich eine kleine Schar Interessenten zur Buchvorstellung vor Ort im Engelbergtunnel. Eisiger Wind wehte über die verschneiten Wiesen oberhalb des ehemaligen Autobahntunnels. Den eisigen Temperaturen trotzen sie während der Buchvorstellung dick einpackt in Winterjacken. Dieses Privileg hatten die Männer, die hier zwischen Frühjahr 1944 und April 1945 zur Arbeit gezwungen waren, nicht.

Sie trugen dünne Häftlingskleidung, egal bei welchen Temperaturen, sie waren verlaust, verdreckt, geschwächt vor Hunger und krank. „Sie waren nur noch Nummern: Über 3000 Männer aus 24 Ländern Europas, von den Nazis verschleppt, im KZ Leonberg der Willkür der SS ausgeliefert, 1944/45 von der Firma Messerschmitt zur Arbeit an den Tragflächen des Düsenjägers ME 262 gezwungen, zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. 398 KZ-Häftlinge starben in Leonberg, mehr noch in Sterbelagern und auf dem Todesmarsch“, informiert eine der Texttafeln in der Ausstellung im Engelbergtunnel.

„Eine Vermehrung der slawischen Bevölkerung ist unerwünscht. Die Slawen sollen für die Deutschen arbeiten, wenn sie nicht arbeiten können, sollen sie sterben“, ist ein Zitat aus dem Himmler-Stab „Generalplan Ost“. Dieses Ziel wurde auch im Leonberger KZ umgesetzt.

Die neue Dokumentation, befasst sich erstmals auch intensiver mit der Frage, was nach dem Zusammenbruch des Naziregimes, nach dem Krieg aus den Tätern geworden ist. „Ein Thema, das wir bisher noch nicht so sehr in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht haben“, erklärte Röhm.

Zunächst einmal Willy Messerschmitt, in der Luftfahrtliteratur wird er als genialer Ingenieur gerühmt, er war Großaktionär, Vorstandsvorsitzender und Betriebsführer der Messerschmitt AG. Seine Firma hatte je nach Bedarf beim SS-Wirtschaftsverwaltungsamt Häftlinge zur Arbeit angefordert. Dafür berechnete die SS Messerschmitt pro Tag zwischen vier und sechs Reichsmark. Die Messerschmitt-Zahlungen kassierte die Reichsbank.

In den Befragungsprotokollen der Alliierten gab Messerschmitt unter Eid an, dass er mit der „Arbeiterfrage nie befasst“ gewesen sei. Er wurde schließlich als „Mitläufer“ eingestuft und hatte als Sühnemaßnahme lediglich die Zahlung von 2000 Reichsmark zu leisten.

Von etwa 100 Verantwortlichen im Leonberger KZ standen 13 Männer 1948 vor einem französischen Militärtribunal in Rastatt. Vier der in diesem Prozess Verurteilten waren sogenannte Funktionshäftlinge, die sich durch die Überwachung der Gefangenen Privilegien erwarben. Zwei von ihnen - Walter Hartmann und Ernst Jäger - waren wegen ihrer Brutalität besonders gefürchtet. Hartmann, der auch an der Erhängung von Häftlingen beteiligt war, wurde zum Tode verurteilt, Jäger, als „Chef des Ochsenziemer-Kommandos“ gefürchtet, zu lebenslanger Zwangsarbeit. Beide wurden später begnadigt.

Auch die anderen Angeklagten, die an den Gräueltaten in Leonberg beteiligt waren, kamen vorzeitig frei. Von den 60 Wachleuten des KZ Leonberg konnten nur zwei gefasst werden. Auch sie waren Mitte der 50er Jahre wieder auf freiem Fuß. Haltung einer Zeit, in der man von diesen NS-Gräueltaten nichts hören und wissen wollte. Die neue Dokumentation hilft zumindest mahnend, die Erinnerung daran wach zu halten.


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