Die ersehnte Freiheit – so nah und doch noch so fern

von Regine Brinkmann
Das doppelte Ende des Konzentrationslagers Natzweiler: Die Ausstellung im Rathaus läuft bis Ende April.
Leonberger Kreiszeitung, 15. April 2015

Wo liegt Natzweiler? Und welche Rolle spielt das Leonberger KZ beim historisch lange vergessenen doppelten Ende des elsässischen Lagers? Das klärt die Wanderausstellung, die am Montag anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung vom NS-Regime im Neuen Rathaus eröffnet worden ist.

Das Foyer war schon vor der Begrüßung durch Marei Drassdo, der Vorsitzenden der KZ-Gedenkstätteninitiative, und des „Hausherrn" OB Schuler gut gefüllt, viele Besucher haben vorneweg einen Blick auf die Ausstellung geworfen. Das ehemalige Lager mitten in Leonberg lässt die die Bürger nicht los, und die Frage, warum auch in Leonberg eines errichtet wurde, beantwortet die Ausstellung ganz präzise. Sie hat mit Natzweiler zu tun: „Natzweiler-Struthof war ein sogenanntes Stammlager, in der Struktur vergleichbar mit den Lagern Dachau oder Auschwitz.

Von hier wurden die Häftlinge in Außenlager deportiert, die genau da errichtet wurden, wo die Rüstungsindustrie schnell und billig Arbeitskräfte brauchte", erklärt Dorothee Roos. Sie ist die erste Vorsitzende des Vereins KZ-Gedenkstätte Neckarelz und ein Mitglied des deutsch-französischen Ausstellungsteams, das während der vergangenen drei Jahre diese Ausstellung konzipiert und entwickelt hat. „Mit unserer Zusammenarbeit wollen wir eine gemeinsame Sicht auf die Geschichte entwickeln und damit ein Stück weit zur Europäisierung des Blicks beitragen", erklärte sie den rund 70 Gästen bei ihrer Eröffnungsansprache.

Den Überblick über die Geschichte der Lager und die Zusammenhänge erhalten die Besucher anhand von Texten, geografischen Karten und exemplarischen Biografien. So zeigt eine der ausgestellten Karten genau, welche Industriebetriebe in Baden und Württemberg an welchen Standorten Häftlinge eingesetzt haben; etliche klangvolle Namen bekommen beim Betrachten dieser Karte schnell einen schalen Beigeschmack.

Doch die weithin unbekannte Geschichte des doppelten Endes vom Lager Natzweiler barg für die inhaftierten Menschen noch mehr Leid: Die Alliierten waren in der Normandie gelandet, in den Häftlingen keimte die leise Hoffnung auf Befreiung - da wurde das Stammlager aufgelöst, die Häftlinge alle gen Osten auf die rechte Seite des Rheins verschleppt und auf teilweise eiligst neu gebaute Lager verteilt. Die Alliierten fanden im November 1944 lediglich ein effizient geleertes Lager vor. „Der Komplex Natzweiler bestand zwar nur noch aus rund 70 Außenlagern und der Kommandantur, die sich auf drei Neckardörfer verteilt hatte, aber funktionierte im Sinne der Betreiber einwandfrei. Und das ist in der Geschichte der Stammlager ein einmaliger Fall", weiß Roos.

„Freiheit, so nah, so fern. Das doppelte Ende des Konzentrationslagers Natzweiler" - der Titel der Ausstellung drückt die Verzweiflung aus, die auch Albert Montal empfunden haben muss. Montal ist ein Überlebender, zusammen mit seiner Frau ein hochwillkommener Gast der Ausstellungseröffnung. Der damals 15-Jährige wurde im September 1944 aus seinem Heimatdorf Charmes in den Vogesen deportiert. Er überlebte schwer erkrankt das KZ in Leonberg und den Todesmarsch im Frühjahr 1945 nach Bayern. Seit den 80er Jahren hat Albert Montal Leonberg mehrere Male besucht, mit ganz gemischten Gefühlen. Heute hat er zwar keinen Knoten im Bauch mehr, wenn er herkommt, denn „das Leben geht weiter und ist immer noch da!", wie er sagt. Doch es ist ihm wichtig, mit seinen Erinnerungen die Geschichte des KZ Leonberg wach zu halten. Michael Volz, Lehrer für Französisch und Religion am Gerlinger Robert-Bosch-Gymnasium und am Abend als Dolmetscher viel beschäftigt, hat daher das Leben Montals im vergangenen Jahr mit seinen Schülern als Theaterstück aufgeführt. Die Biografie ist auch für die Schau in Leonberg ein wesentlicher Baustein.

Die vier Wanderversionen der Ausstellung sind 2014 und 2015 an rund 40 Orten in Deutschland und Frankreich unterwegs. In Leonberg wird sie durch die Informationen zum Leonberger Außenlager ergänzt.

Die nächsten Termine

Kooperation mit ASG Am heutigen Mittwoch besiegeln die KZ-Gedenkstätteninitiative und das Albert-Schweitzer-Gymnasium eine Schul-Patenschaft (15.30 Uhr, Atrium). Eine Kooperation gibt es bereits seit einigen Jahren, wie sie auch andere weiterführende Schulen in Leonberg pflegen. Dazu sind verschiedene regelmäßige Veranstaltungen wie Führungen oder auch Projekte geplant.

Neue Tafeln Am Samstag, 17. April, 11 Uhr, werden drei Namenstafeln am Ehrengrab der KZ- Opfer auf dem alten Friedhof in der Seestraße eingeweiht. Schüler des ASG tragen dazu Häftlingsbiografien vor.

Veranstaltungen Die Gedenkstätteninitiative lädt an jedem ersten Sonntag im Monat in ihre Räume im Samariterstift (Seestraße 74, vierter Stock) ein. Beim nächsten Termin am 3. Mai berichtet Renate Stäbler über den Volkssturm in Leonberg.


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