Die Lager vor der Haustür

Schwerpunktthema: Konzentrationslager in der Region Stuttgart - von Tanja Pegatzki
Trottwar, 01. Mai 2005

Die Lager vor der Haustür

Kaum jemand weiß, dass es im letzten Kriegsjahr sechs Konzentrationslager rund um Stuttgart gab. Tausende Häftlinge mussten bis zum Kriegsende unter katastrophalen Bedingungen für die Rüstungsindustrie arbeiten. Mindestens 3000 Menschen starben in diesen KZs.

„Es schneite und regnete, als man uns auf dem Bahnhof in Leonberg aus dem Viehwagon lud. Auf wackeligen Beinen marschierte ich vom Bahnhof ins Lager. Wir fragten, ob es ein Krematorium gebe. 'Nein´, hieß es. Wir atmeten auf.“ So beschreibt Ernst Israel Bornstein, ein ehemaliger Häftling, seine Ankunft im Konzentrationslager Leonberg. Der Weg vom Bahnhof ins Lager ging mitten durch die besiedelte Stadt. Renate Stäbler von der Gedenkstätteninitiative erklärt, dass man das Lager damals nicht übersehen konnte. Einerseits lag es mitten in der Stadt; andererseits war es auch nachts stark beleuchtet – um die RFlucht zu verhindern. Dennoch behaupteten viele Bürger, dass es in Leonberg nie ein Konzentrationslager gegeben hat.

Das Lager Leonberg war kein Vernichtungslager, wie zum Beispiel Auschwitz, sondern ein Arbeitslager. Das KZ wurde im Frühjahr 1944 errichtet, um der Rüstungsindustrie schnelle und billige Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Wegen der alliierten Luftangriffe hatten die Nazis die Produktionsstätten in unterirdische Räume verlegt. So wurde der Engelbergtunnel für die Rüstungsindustrie stillgelegt. Die Häftlinge arbeiteten für die Messerschmidt AG in Augsburg und fertigten in den beiden Tunnelröhren fertigten Tragflächen für den Düsenjäger ME 262. Der war Teil des „Wunderwaffen-Programms“, von dem sich viele noch den Endsieg erhofften.

Die Haft- und Arbeitsbedingungen der Häftlinge waren katastrophal. Im Lager schliefen die Häftlinge auf dem kalten Fußboden, es gab keine sanitären Einrichtungen, die Essensrationen waren gering. Im Tunnel arbeiteten sie zwölf Stunden am Tag. „Das Leonberger KZ vernichtete durch Arbeit“, so Renate Stäbler.

Durch Überbelegung, Unterernährung und den schlechten hygienischen Bedingungen breiteten sich Krankheiten, insbesondere Fleckfieber und Typhus, rasant aus. Erstaunlich ist, dass nur wenig Leonberger Bürger an einer dieser Krankheiten starben. Der Tod von 389 KZ-Häftlingen ist nachgewiesen. Man geht aber davon aus, dass weit mehr gestorben sind.

Vom Arbeits- zum Sterbelager

Auch das KZ in Vaihingen/Enz mit dem Decknamen Lager Wiesengrund war zunächst ein Arbeitslager. Es lag im Glattbachtal, zwischen Vaihingen und Ensingen. Bei dem Bauprojekt Stoffel sollte in einem Steinbruch eine unterirdische Flugzeugfabrik entstehen. Bereits Ende Oktober 1944 jedoch wurde das Projekt Stoffel aufgegeben und die arbeitsfähigen Häftlinge in andere KZs gebracht. Das Lager Wiesengrund wurde zum „SS Kranken- und Erholungslager“ erklärt, das die von der Schwerstarbeit zu Tode erschöpften und kranken Häftlinge aus den anderen KZs aufnehmen sollte.

Das Lager hatte nun die Funktion, den Ausbruch von Seuchen in den Arbeitslagern zu verhindern, indem man die Kranken nach Vaihingen abschob. Es gab aber keinerlei medizinische Versorgung. Kranke die nach Wiesengrund kamen, kamen um zu sterben, nicht um gesund zu werden. Im Februar 1945 brach auf Grund der schlechten sanitären Einrichtungen eine Flecktyphus-Epidemie aus, die täglich bis zu 33 Tote forderte. Insgesamt starben im „Sterbelager Wiesengrund“ etwa 1700 Häftlinge.

Auch vom Lager Wiesengrund gibt es Berichte über die Ankunft der Häftlinge. Das deutet darauf hin, dass die Bevölkerung Vaihingens über das KZ Bescheid wusste. So schrieb der Vaihinger Zeitungsverlegers Wilhelm Wimmershof in seinem Tagebuch am 13. August 1944: „Von der unbarmherzigen und gemeinen Behandlung (der Juden) bekam man dieser Tage auch bei uns in der Nähe den Eindruck. In vier Viehwagen wurde ein ganzer Transport Juden auf die Baustelle des hiesigen Werkes geführt, wo sie in einem von Stacheldraht umsäumten Barackenlager zusammengepfercht leben müssen. Am Tage der Ankunft herrschte eine unmenschliche Hitze und die Juden standen in den Viehwagen dicht bei dicht zusammen, ohne das sie sich bewegen konnten.“

Weiterhin gab es noch vier KZs in der Region Stuttgart. In Unterriexingen, Gäufelden-Tailfingen und Echterdingen wurden Häftlinge eingesetzt, um bereits vorhandene Flugplätze auszubauen und in Stand zu halten. In Geislingen an der Steige arbeiteten überwiegend Frauen aus Ungarn und stellten für die Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) Patronenhülsen her.

Organisatorisch waren diese Lager dem Stammlager Natzweiler/Struthof im Elsass unterstellt. Es waren keine Vernichtungs-, sondern Arbeitslager. Trotzdem starben mindestens 3000 Häftlinge. Mit „Vernichtung durch Arbeit“ bezeichneten die Nationalsozialisten das planmäßige und vorsätzliche Töten von Häftlingen durch Schwerstarbeit. Die Häftlinge in diesen sechs Lagern wurden dazu benutzt, für den Endsieg zu arbeiten, obwohl im Frühjahr und Sommer 1944, als die Lager errichtet wurden, der Krieg schon längst verloren war. Auf die Frage, warum die Häftlinge an den Ort des Schmerzes und ihrer Pein zurückkehren, erklärt Mordechai Noyowitz, ein ehemaliger Häftling des KZs Leonberg: „Ich zeige, dass ich lebe.“


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