Die Versöhnung hat viele Namen

von Barbara Bross
Leonberger Kreiszeitung, 5. Juli 2005

LEONBERG - Pjotr Wassiljewitsch Kudrjaschow liebt die Deutschen, ihre Sprache, ihre Kultur, die Landschaften. Seit 1991 war er bereits mehrfach in Leonberg und Umgebung. Das ist umso erstaunlicher, wenn man weiß, dass der Arzt vor 60 Jahren im Engelbergtunnel als Zwangsarbeiter gelitten hat.

Ein wenig von der schwarzen, fruchtbaren Erde der Ukraine liegt auf dem Grab von Elisabeth Dommes auf dem Gerlinger Waldfriedhof. Wäre die Frau des Gerlinger Künstlers Erich Dommes nicht gewesen, wäre es mit Pjotr Wassiljewitschs Liebe zu Deutschland wahrscheinlich nichts geworden.

Doch weil es diese mutige Gerlingerin gab, die den Zwangsarbeiter gegen Ende des Krieges in ihrem Haus in der Seifertstraße versteckte und aufpäppelte, weil sie ihn wie einen Menschen behandelte, hat er nie sein Ziel aus den Augen verloren, diese Frau eines Tages wiederzusehen. 46 Jahre hat Pjotr Wassiljewitsch gewartet. Ende der achtziger Jahre, zu Zeiten von Glasnost und Perestroika, hatte er es geschafft, die Adresse seines "rettenden Engels" herauszufinden und ihm zu schreiben. Zwei Jahre lang haben sich Elisabeth Dommes und Pjotr Wassiljewitsch geschrieben, bis sie sich 1991 in Gerlingen wiedersahen.

Das Leben des Russen, der in der Ukraine geboren wurde und lebt, hätte eine ganz andere Wendung nehmen können, wenn er gewollt hätte: Elisabeth Dommes, Mutter von drei kleinen Söhnen, hatte den 17-Jährigen davor gewarnt, zurück in die Heimat zu gehen. Dort, war sie überzeugt, drohe ihm die Verschickung nach Sibirien. Sie wollte ihn stattdessen als vierten Sohn aufnehmen. Doch Pjotr wollte nach Hause. Vier Jahre lang war er Soldat in der DDR, dann wurde er Arzt und arbeitet noch heute an der medizinischen Hochschule.

1993 ist Elisabeth Dommes gestorben. Ein Jahr später war Pjotr Wassiljewitsch auf Einladung ihres Sohnes Albrecht erneut in Deutschland, hat viele Menschen kennen gelernt, die ihn mit offenen Armen aufnahmen, ihm Kloster Maulbronn, den Schwarzwald, Heidelberg, Tübingen und den Bodensee zeigten oder mit ihm zwei Wochen lang auf dem Jakobsweg in Spanien wanderten.

Auch von der Stadt Leonberg ist der Mann aus Nikolajew zusammen mit anderen früheren Zwangsarbeitern eingeladen worden, so wie jetzt anlässlich des 60 Jahre zurückliegenden Kriegsendes. Private Spender haben ihm zwei Augenoperationen ermöglicht - ein Aufseher im Lager hatte ihn vor 60 Jahren so zusammengeschlagen, dass er auf einem Auge fast blind geworden war.

All diesen Menschen, die ihm in irgendeiner Weise in den vergangenen Jahren so sehr geholfen haben, ist Pjotr Wassiljewitsch so dankbar, dass es ihm die Tränen in die Augen treibt, wenn er darüber spricht. Unter ihnen ist neben Pfarrer Eberhard Röhm und der perfekt Russisch sprechenden Kulturamtsleiterin Christina Ossowski auch Oberbürgermeister Bernhard Schuler. "Er ist ein unglaublich offener, unbürokratischer Mensch und ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier", erzählt er.

Was sie alle für ihn getan hätten, sei "teurer als Geld". Er ist dankbar für die Bergstiefel von Geigenbauer Helmut Müller, für die kostenlosen ärztlichen Untersuchungen von Dr. Merk und Dr. Umland, für die Wanderungen mit Wolfgang Hientzsch, der nach dem Krieg in Sibirien war und dem er sich wie einem Bruder im Geiste verbunden fühlt.

Zwei Monate lang war Pjotr Wassiljewitsch in Leonberg. Er kurierte die zweite Augenoperation aus und konnte nun nach Hause fliegen. Gastgeberin war, wie so oft in den vergangenen Jahren, Ursula Beutelspacher. Die 78-Jährige hatte vor einigen Jahren das Foto des Ukrainers mit Elisabeth Dommes in der Leonberger Kreiszeitung gesehen und es ausgeschnitten.

Seit sie denken kann, liebt die gebürtige Dresdnerin, deren Familie sechs Juden vor dem Tod gerettet hat und deren Vater dafür in Yad Vashem geehrt wurde, Russland und seine Menschen. Noch einmal im Leben, erzählt sie, habe sie mit einem Russen gemeinsam essen wollen.

Kulturamtsleiterin Ossowski vermittelte, und aus dem einen Mittagessen wurden viele, lange Besuche. Zweimal schon war die Leonbergerin in der Ukraine bei den Kudrjaschows. Dort hat sie auch das Grab seiner Mutter besucht, auf das ihr russischer Freund ein wenig Erde vom Grab von Elisabeth Dommes gelegt hat.


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