Ehemaliger KZ-Häftling malt gegen das Vergessen

von Lotte Schnedler
Stuttgarter Nachrichten, 28. Juni 2003

Moshe Neufeld war in Leonberg interniert - Das Stadtmuseum stellt seine Gemälde aus und zeigt einen Film über ihn
Ein grauer, gesichtsloser Menschenzug bewegt sich durch ein Tor, über dem "Arbeit macht frei" steht. Auschwitz, Holocaust. Das ist das Thema eines von rund 20 Ölbildern von Moshe Neufeld, die im Stadtmuseum Leonberg zu sehen sind.

Der heute 77-Jährige kam als 17-Jähriger ins KZ Leonberg. Vom Frühjahr 1944 bis Ostern 1945 mussten dort bis zu 3000 Männer 18 Stunden täglich in der Herstellung von Flugzeugtragflächen für die Messerschmitt AG schuften. Weit mehr als die 373 Toten, die im Sterbebuch der Stadt aufgeführt sind, kamen um.

Jetzt besuchte Moshe Neufeld mit seiner Familie und weiteren ehemaligen KZ-Häftlingen aus Frankreich, der Ukraine und Italien die Stadt, die seine Bilder ausstellt. Er war in sechs KZs - in Leonberg, wo er Typhus bekam, nur im März und April 1945.
Heute lebt er in Israel im Kibbuz Barkai an der Grenze zu Palästina. "Meine schlimmste Erinnerung", sagt Neufeld, "ist, dass in Auschwitz meine Eltern, mein Bruder und meine Schwestern umkamen. Ich bin der einzige Überlebende unserer Familie." Deshalb heißt der Film, den Vaclav Reischl über Neufeld drehte, auch "Alleine bin ich geblieben im Leben". Er entstand im Auftrag der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg und wurde von der Landeszentrale für politische Bildung gefördert. Dieser Tage hatte er im Theater im Spitalhof Premiere, künftig kann er in der Ausstellung im Stadtmuseum gesehen werden.
Bei der Premiere stellte Landesrabbiner i. R. Joel Berger die gemeinsame Geburtsstadt Satu Mare im heutigen Rumänien vor, die nicht auf Moshe Neufelds Bildern auftaucht. Früher hatte sie 60 000 Einwohner, davon 20 000 Juden: "Heute ist sie judenrein", sagt Berger.

In jiddischer Sprache erzählt Neufeld von der Deportation seiner Familie. Bilder, sagt er vor der Kamera, male ich nach dem Gefühl; es sind die Erinnerungen in mir. Signiert hat er mit A 12825, der Nummer, die ihm in Auschwitz eintätowiert wurde.
Viele Juden haben damals geglaubt, ihnen passiere nichts, weil Gott auf ihrer Seite stehe. Doch die Bilder Moshe Neufelds von der Shoa, dem Holocaust, sprechen eine andere Sprache. Auf dem Bild "Tal des Todes" verschwindet der als weinendes Auge gezeichnete Gott im feuerroten Rauch der Krematorien. Doch er malt auch andere, heitere Bilder. "Er hat überlebt", nennt Eberhard Röhm, Vorsitzender der KZ-Gedenkinitiative Leonberg, als Grund. Moshe Neufeld sagt, die Phase der Aufarbeitung sei durch das Malen der Shoabilder abgeschlossen.

Info: Die Ausstellung ist bis 16. November im Stadtmuseum, Pfarrstraße 1, zu sehen; dienstags bis donnerstags von 14 bis 17, sonntags von 13 bis 18 Uhr.


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