Ein dunkles Kapitel der gemeinsamen Geschichte

von Arnold Einholz
Ungarische und deutsche Gymnaiasten gehen den „Weg der Erinnerung“ der KZ-Gedenkstätteninitiative.
Leonberger Kreiszeitung, 27. Oktober 2012

Betroffenheit und stilles Nachdenken hat einer der letzten Termine der 15 ungarischen Schüler des Gimnázium Árpad Fejedelem in Pécs während ihres zehntägigen Aufenthalts in Leonberg ausgelöst. Gemeinsam mit den Partnerschülern der Leonberger Beruflichen Gymnasien sind sie den „Weg der Erinnerung" vom Friedhof an der Seestraße zum alten Autobahntunnel gegangen.

Dabei wurde einer der dunkelsten Momente der deutsch-ungarischen Geschichte in den letzten Kriegsjahren 1944/45 wach.
Von allen Projekten, die auf Leonberger Seite von den beiden Lehrern am Berufsschulzentrum Hans Peter Lückge und Silvia Tanczos-Lückge geleitet wurden, war dies wohl das Stillste, als die ungarischen und deutschen Schüler den „Weg der Erinnerung" mit Manfred Pauschinger beschritten.

Er ist Vorstandsmitglied der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative. Bis zum Eintritt in den Ruhestand selbst Lehrer am Berufsschulzentrum, schilderte Pauschinger auf dem Weg vom Friedhof in der Seestraße bis zum alten Autobahntunnel, dass unter den etwa 5000 Häftlingen, die im Laufe eines Jahres in Leonberg Zwangsarbeit zu leisten hatten, auch mehrere Hundert Ungarn waren.

Als Beispiel nannte er Eric Spicer, der heute in Australien lebt. Im Jahr 2006 hatte er auf Einladung der Gedenkstätteninitiative Leonberg besucht und mit Schülern des Johannes-Kepler-Gymnasiums einen Vormittag lang gesprochen. Als Jugendlicher, damals gerade so alt wie die Jugendlichen aus dem südungarischen Pecs, hatte er 1944 in seiner Heimatstadt Budapest bei Nacht mit weißer Farbe an eine Mauer „Tod den deutschen Besatzern" gesprüht. Daraufhin war er von der Gestapo verhaftet und nach Leonberg verschleppt worden.

Jetzt suchte die Enkelgeneration aus Ungarn gemeinsam mit deutschen Schülern seinen Namen auf der Namenswand vor dem alten Engelbergtunnel: Emmerich Spitzer, so hieß er damals, ist auf der Stahlwand vor dem alten Autobahntunnel zu lesen. Der war damals in eine Produktionsstätte der Flugzeugfabrik Messerschmitt umgewandelt worden. „Bei der Übersetzung durch die Lehrerin Eva Puglics, die am Gymnasium in Pecs Deutsch unterrichtet, wurde es von Mal zu Mal stiller", hat Eberhard Röhm von der KZ-Gedenkstätteninitiative den Moment empfunden.

Von den 337 Toten des KZ Leonberg, die auf dem Friedhof Seestraße liegen, stammen allein 32, die namentlich bekannt sind, aus Ungarn. Bis zum März 1944 waren die Ungarn Verbündete der Deutschen. Dann wollten sie den Wahnsinn des Krieges nicht mehr mitmachen, sondern schwenkten auf die Seite der Alliierten. Es folgte die Besetzung durch deutsche Truppen und die Deportation der in Ungarn noch lebenden Juden. Zu ihnen gehörte auch der vor Kurzem erst in Israel verstorbene Mordechai Nojowits sowie Moshe Neufeld, zwei ungarische Landjuden. Sie waren zunächst nach Auschwitz und später nach Leonberg verbracht worden.

Dort begegneten sie im KZ und Arbeitslager an der Seestraße auf engstem Raum einer großen Zahl anderer, zu Sklaven degradierter Menschen aus 24 europäischen Nationen, die zum Dienst in einer sinnlosen Rüstungsproduktion zwangsverpflichtet waren.

Der Gang auf dem „Weg der Erinnerung" war eine der zahlreichen gemeinsamen Erfahrungen anlässlich des Gegenbesuchs der ungarischen Partnerschule der Leonberger Beruflichen Gymnasien. Der Besuch ist Teil des von der EU geförderten Comenius-Projekts.

Dieses zielt auf ein besseres Verständnis der Völker in Europa ab. Im Mai waren Leonberger Schüler in Ungarn zu Gast gewesen, um auf „Europäische Spurensuche im Partnerland" zu gehen. Die Erfahrungen sind dokumentiert in der Online-Zeitung „Frontpage", die auf der Homepage des Berufsschulzentrums eingesehen werden kann.


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