Ein letztes Mal in den Tunnel der Leiden

von Iris Voltmann
Riesenandrang bei der Führung der KZ-Gedenkstätteninitiative
Leonberger Kreiszeitung, 10. September 2007

Leonberg. Dumpf hallt Renate Stäblers Stimme durch den alten Engelbergtunnel. Zum letzten Mal hat sie am Sonntag Besucher in das einsturzgefährdete Bauwerk geführt. Mit ihr erinnern sich rund 200 Menschen ein letztes Mal vor Ort an die traurige Geschichte des Tunnels.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden in der Ost- und der Weströhre des Engelbergtunnels mehr als 3000 KZ-Häftlinge dazu gezwungen, unter menschenverachtenden Umständen Tragflächen für Jagdflugzeuge der Firma Messerschmitt zu fertigen. "Die Männer ließen dabei nicht selten ihr Leben", sagt Renate Stäbler von der KZ-Gedenkstätteninitiative in Leonberg. Dass dieses Zeugnis einer dunklen Leonberger Vergangenheit bald vollständig zugeschüttet werden soll, erfüllt sie mit hilfloser Wut. "Das Denkmalamt hält den Bau nicht für erhaltenswert", sagt sie sarkastisch. Wichtiger sei es, den Baugrund auf dem Engelberg aufzuwerten und vor dem Einsturz zu sichern.

Vor dem Eingang zum Tunnel steht eine rostrote Tafel. Hier kann man die Namen der rund 3000 Häftlinge lesen. Die Männer kamen aus Polen, Ungarn oder Italien. Viele von ihnen waren Juden. Hinter der Tafel ragt die Öffnung der Weströhre auf. Immer noch wütend auf das Denkmalamt schließt Renate Stäbler das Tor auf.

Vom Andrang überwältigt, hat die Gedenkstätteninitiative die Besuchermassen spontan in mehrere Gruppen aufgeteilt. Zeitversetzt streben sie nun alle die Seestraße hinauf dem Tunnel zu. Renate Stäbler hat das Bauwerk mit ihrer Gruppe als erstes erreicht. "Die Leonberger konnten beobachten, wie die Häftlinge über die Bahnhofstraße auf das Lager zugetrieben wurden", erklärt sie, während sie die Röhre betritt. Manche hätten den entkräfteten Männern ein Stück Brot zugeworfen. Als am Galgen in der heutigen Schleiermacherstraße einer der Häftlinge hingerichtet wurde, saßen nach Zeitzeugenberichten auf der Wiese davor mehrere Hundert Zuschauer. "Und dennoch hat nach dem Krieg kaum jemand mehr etwas von dem KZ wissen wollen", ärgert sich Stäbler.

Auch die Teilnehmer ihrer Führung bringen für diese Haltung der Menschen im Nachkriegsdeutschland der fünfziger Jahre kein Verständnis auf.

Beinahe hektisch betreten die Teilnehmer der Führung dann die Weströhre des alten Tunnels - die Oströhre wurde bereits vor Jahren aufgefüllt. Auf dem Boden liegen zerbrochene Fliesen, es ist feucht und eisig. "Um die Maschinen hier unterzubringen, wurde in jede der Röhren ein Doppelboden eingezogen", erklärt Stäbler. So entstand eine Arbeitsfläche von rund 12 000 Quadratmetern. Der Lärm der Maschinen muss für die geschwächten Häftlinge unerträglich gewesen sein.

Mit gelben Helmen eilen die Besucher auf die Stelle zu, an der die Röhre bereits aufgefüllt ist. Der Klang der Stimmen, das Füßetrappeln und das Scheppern der Scherben auf dem Boden wird von den Wänden schaurig zurückgeworfen. Die Männer arbeiteten in dieser grausigen Atmosphäre an sieben Tagen der Woche. Viele starben. "Dabei wusste man, dass der Krieg verloren ist", so Stäbler.


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