Ein Zeichen des Nicht-Vergessens

von Sybille Schurr
Zum "Tag der jüdischen Kultur" führt Eberhard Röhm durch die Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte
Leonberger Kreiszeitung, 8. Spetember 2008

Leonberg. Auf die Spuren jüdischen Lebens begeben sich seit einigen Jahren viele europäische Länder am "Tag der jüdischen Kultur". In Leonberg führten diese Spuren gestern in das düsterste Kapitel der Stadtgeschichte.

Vom Frühjahr 1944 bis April 1945 gab es in der oberen Seestraße ein von der SS geführtes Außenlager des elsässischen Konzentrationslagers Natzweiler. In den mit Stacheldraht und Wachtürmen gesicherten Baracken waren kurz vor Kriegsende rund 3000 KZ-Häftlinge aus 24 Nationen untergebracht.

Im Engelbergtunnel mussten sie für die Rüstungsindustrie arbeiten. Auf dem "Weg des Erinnerns", der von der Seestraße hinaufführt zum ehemaligen Autobahntunnel, wird heute nachvollziehbar, was diese namenlosen, mit Nummern versehenen Arbeitssklaven erlitten haben. Nacherlebbar ist dieses Geschehen nicht. "Es macht noch heute einfach nur sprachlos", sagt Holger Korsten.

"Man kann die Umstände beschreiben, darüber hinaus gibt es keine Worte." Auch für Korsten nicht, der zum Kreis der KZ-Gedenkstätteninitiative gehört, die in engagierter Arbeit dafür sorgt, dass dieses Lager des Elends und der Unmenschlichkeit nicht einer bloßen Randnotiz in der Stadtgeschichte bleibt.

Nach dem Bau des neuen Autobahntunnels hat die Initiative jahrelang darum gekämpft, den alten Engelbergtunnel zu einer Gedenkstätte auszubauen. Mit Erfolg: Am 29. Juni wurde die Gedenkstätte nun eröffnet. Knapp 30 Meter sind übrig geblieben von den zwei 300 Meter langen Tunnelröhren, in denen die Gefangenen Tragflächen für den Düsenjäger ME 262 der Firma Messerschmidt fertigten.

Eine jener "Wunderwaffen", mit der der "Endsieg" errungen werden sollte. Ein fast ungläubiges Entsetzen ist Begleiter bei diesem Gang durch den Tunnel. Gestern führte Eberhard Röhm, der Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative, eine kleine Gruppe von Menschen durch die Ausstellung. Seit Eröffnung der Gedenkstätte, die den Schlusspunkt bildet für den vor Jahren schon eingerichteten "Weg des Erinnerns", haben schon über 800 Menschen diesen Ort besucht.

Nackten Zahlen und Fakten sind die politischen Leitziele der Nazidiktatur gegenübergestellt. Technokratische Umschreibungen für einen Rassenwahn, dem Menschen bedingungslos geopfert wurden.
Einzig das Erinnern gibt den Namenlosen, den nummerierten Arbeitssklaven, die im Leonberger KZ der Willkür der SS und ihrer Aufseher ausgeliefert waren, ihre menschliche Würde zurück. In neun Kapiteln mit 32 Unterkapiteln ist die Geschichte des Grauens gegliedert.

Zitate des Häftlings Avraham Ary, 1928 in Bialystok geboren, der heute in Israel lebt, sind der Leitfaden auf dem Weg durch den Tunnel. "Der Tod war immer unter uns und mähte unser Leben wie der Bauer das Gras", dieses Zitat des italienischen Häftlings Giuseppe Zorzin steht in großen Buchstaben an der rückwärtigen Tunnelwand. "Und ich habe ständig die Hoffnung gehabt, dass ich werde leben bleiben, dass ich muss leben bleiben, dass ich Kindern erzählen kann, was da alles gewesen ist", sagt Avraham Aly.

Ein Vermächtnis, das sich die engagierten Mitglieder der Gedenkstätteninitiative zu ihrer Aufgabe gemacht haben. Das Erinnern darf nicht enden, es darf nicht geschehen, was der Holländer Coen Rood, ebenfalls KZ-Häftling in Leonberg, so sehr fürchtet: " . . . dass keiner daran erinnert werden will, was geschehen ist."

Dieses Zitat steht als letztes auf dem Rundweg durch den Tunnel. Darunter liegt ein Gästebuch auf. Jeder Eintrag in dieses Buch soll zu einem Zeichen des Nicht-Vergessens werden.

Die Gedenkstätte ist an jedem ersten Sonntag im Monat von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Die nächste öffentliche Führung auf dem "Weg der Erinnerung" ist am Sonntag, 14. September, mit Renate Stäbler und Holger Korsten.


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