Er trägt ein Stück Schule in die Stadt

von Klaus Wagner
Michael Volz ist Lehrer am Robert-Bosch-Gymnasium für Französisch und katholische Religion. Er leitet auch die Theater-AG – und bringt Jugendliche dazu, aus sich heraus zu gehen. Das neue Stück, über die NS-Zeit, ist für ihn das schwerste gewesen.
Leonberger Kreiszeitung, 20. Februar 2014

Theater ist Grenzüberschreitung", sagt Michael Volz, „es geht mir darum, die Kinder zu knacken. Sie sollen weiterkommen. Es ist nicht jedem in die Wiege gelegt, sich ganz zu zeigen, Text zu lernen, sich wie eine andere Figur zu bewegen und sich kritischen Blicken auszusetzen." Damit hat Volz schon viel dazu gesagt, was er als Pädagoge mit seinen Schülern am Robert-Bosch-Gymnasium (RBG) erreichen will - nicht nur Stoff pauken.

Er hat mit ihnen Klassiker inszeniert, wie Brechts „Dreigroschenoper" oder Dürrenmatts „Alte Dame", aber mit den Zwölf- bis Neunzehnjährigen auch seit 2006 etliche eigene Stücke aufgeführt. Zum Beispiel „Robert und Clara", über Robert Bosch und Clara Zetkin zur Umbenennung der Schule, oder „Mission is possible" über die Gerlinger Missionare. Der Höhepunkt ist für Volz „Hinterm Berg" - das aktuelle Stück über die NS-Zeit in Gerlingen und Leonberg.

Am Samstag wird es wieder gespielt. „Jedes Jahr etwas ganz anderes" lautet das Motto der Theater-AG, und manche der Mitspieler bleiben ihr sogar nach der Schulzeit treu. „Es geht zunächst um die 20 oder 30, die kommen", sagt Volz. „Sie kommen, weil sie spielen wollen. Spielen kann was Ernstes sein." Dieses Jahr war das Andere ziemlich ernst - und nicht neu. Es war ein schweres Thema, ein Thema, das im Schulunterricht nicht so im Detail besprochen wird, wie es die drei Dutzend jungen Menschen der AG besprachen. Beziehungsweise, wie sie sich dem Thema widmeten und annäherten. Es geht um die Zeit des Nationalsozialismus - wie immer in Volz' Stücken konkret auf den Ort bezogen.

Im Winter 1944 haben hinterm Berg, von Gerlingen aus gesehen, Kriegsgefangene im Leonberger KZ Teile für ein neues Flugzeug gebaut. Unter menschenverachtenden Bedingungen, unter der Aufsicht der SS. BdM-Mädchen haben brav ihre Turnübungen absolviert, im Wirtshaus hat der Pfarrer gelästert, die Gerlinger haben gemeinsam bei Fliegeralarm im Stollen um ihr Leben gezittert. Es ist ein aufregendes, ein anrührendes Stück, ein Stück, das betroffen macht - die Kriegs-, aber auch die Nachkriegsgeneration. „Hinterm Berg" sei „das aufregendste Stück der Theater-AG bisher", meint Volz.

Ein Stück, das die Besucher geschockt hat, das sie aber mit Respekt betrachtet haben. Er habe keine negativen Kritiken vernommen, sagt der 45-Jährige, keine Drohungen oder Schmähungen. „Ihr habt es, getroffen und richtig dargestellt", dieses Kompliment habe er oft gehört. ,„Hinterm Berg' regt auf in gutem Sinn, hat eine Wirkung von der Bühne herunter", sagt Volz,, „es ist das Schärfste bisher von allen unseren Stücken. Wir haben es geschafft, die große Geschichte im Kleinen zu finden, wir haben mit dem Stück viele Gesprächsanlässe geschaffen.

"Bis dato habe er nämlich oft gehört, das KZ in Leonberg sei „kein Gerlinger Thema", sagt Volz. Die Gespräche nach jeder Vorstellung seien „ein besonderes Glückserlebnis" gewesen. Die Sprachlosigkeit über die Zeit im Krieg und davor habe man schon während der Vorbereitungen überwunden: in vielen Familien, zwischen den Schauspielern der Theater-AG und ihren Eltern oder Großeltern. Bei Volz' Theaterstücken wird Lokalgeschichte lebendig. Die Theater-AG trägt ein Stück Schule aus der Schule hinaus. Im Gymnasium seien die Theater-AG und er als Mentor akzeptiert, sagt der Oberstudienrat, was das Engagement und die Themen betreffe. Bei „Hinterm Berg" war die Betroffenheit beim Publikum weitaus größer als etwa bei der „Alten Dame" 2011. Da hatte man das Stück von Friedrich Dürrenmatt gespickt mit vielen humoristischen Anspielungen auf die Stadt.

Auch „Der Prophet", ein Stück über die Visionen des Gerlinger Weingärtners Hans Keil, hatte 2008 Gerlinger Bezüge. Und „Mission is possible" von 2012 hatte zum einen wieder Gerlinger Geschichte zum Inhalt, mit dem Element der Mehrbühnen- und Wanderinszenierung aber auch zum Motto „Jedes Jahr;, etwas ganz anderes" beigetragen. In seinen Theater-Jahren am RBG hat Volz eines schon oft erlebt: „Es ist ein Glück, dass manche Schüler angefixt aus der Schultheater-AG rausgehen" - auch mit der Idee, einen Beruf in der Theaterbranche anzustreben. Wegen der Zusammenarbeit vieler Jahrgänge entstünden überdies „viele Freundschaften über die üblichen Altersgruppen hinaus".

Volz ist auch ganz klassischer Lehrer, für Französisch und katholische Religion. Und der gebürtige Düsseldorfer, der in Tübingen Referendar war, und den der Zufall nach zweieinhalb Jahren in Halle an der Saale 2001 nach Gerlingen gebracht hat, verrät mit verschmitztem Lächeln: „Eigentlich wollte ich Priester werden." Eine Frau („nicht meine heutige") habe dies verhindert.

Ein Glück für viele Gerlinger Jugendliche. Sein nächstes Thema? „Sage ich noch nicht." Termin „Hinterm Berg" wird am Samstag um 19 Uhr in der Leonberger Steinturnhalle gespielt. Vom 3. bis 5. April wird es in Frankreich gegeben, etwa in Gerlingens Partnerstadt Vesoul.


zurück