Erinnern, mahnen und aus der Vergangenheit lernen

von Pfarrer i. R. Eberhard Röhm
Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg, 15. Januar 2006 , 2. Sonntag nach Epiphanias, 101. Jahrgang

Leonberg. - Unwirklich liegt die ausgediente Röhre des alten Engelbergtunnels da. Die Stille ist gespenstisch, nicht nur, weil der Motorenlärm fehlt, sondern auch weil Häftlinge der KZ-Außenstelle Leonberg an dieser Stelle unter menschenunwürdigen Zuständen Flugzeugteile fertigen mussten. Namensreihen, eingeschnitten in Stahlplatten erinnern heute an sie – und an die anderen „deren Namen wir nicht kennen“. Dass es eine Gedenkstätte gibt und einen späten Aufarbeitungs- und Heilungsprozess, ist Religionslehrer und Pfarrer i. R. Eberhard Röhm zu verdanken.

Vorgestellt: Eberhard Röhm

Vorträge, Besprechungen und nicht zuletzt die Treffen mit den Überlebenden und ihren Familien: Eberhard Röhm ist immer auf Achse. Er erzählt, er sei während seiner langjährigen Tätigkeit als Gymnasial-Religionslehrer „in Leonberg hängen geblieben“. Und hat sich hier die Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels der Leonberger Geschichte zur Aufgabe gemacht: 1944/1945 mussten rund 3000 KZ-Häftlinge unter unwürdigen Zuständen in den zugemauerten Röhren des Engelbergtunnels Teile für den Flugzeugbauer Messerschmidt fertigen. Viele ließen ihr Leben, geschwächt von Hunger und Epidemien, oder sie traten auf Todesmärschen und -transporten den Weg in die Sterbelager an.

Dass sich Eberhard Röhm mit ganzer Kraft für die Gedenkstätte und den Kontakt zu den Opfern einsetzt, hat viel mit seiner eigenen Kindheit und Jugend zu tun: Er hat selbst die Einflussnahme im Dritten Reich erlebt, so auch von einem Religionslehrer. Bis der Vater dem Jungen mutig die Teilnahme am Religionsunterricht untersagte, desgleichen am Weltanschauungsunterricht. In Stuttgart-Zuffenhausen, wo Röhm aufgewachsen ist, wirkten glücklicherweise auch die von den Nazis verfolgten Pfarrer Gotthold Schenkel, Wilhelm Gümbel und Herbert Werner. Besonders letzterer wurde während der privaten Religionsstunden Röhms Vorbild und motivierte ihn sogar zu seinem Theologiestudium.

Röhm war als Vikar und Pfarrer in Eberbach/Fils und in Ditzingen tätig, arbeitete später als Religionslehrer und Dozent für die Lehrer- und Pfarrerfortbildung. 1998 brachte ein vergleichsweise kleiner Stein den großen Stein der Gedenkstätteninitiative ins Rollen: Eberhard Röhm verfasste die Inschrift für einen KZ-Gedenkstein vor dem Leonberger Samariterstift und regte in einem Referat zum Thema an, die Verlegung der Autobahntrasse zu nutzen und vor der alten Tunnelröhre eine Gedenkstätte zu errichten. Ein Jahr später gründete sich die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg. 2003 erhielt Röhm die Ehrendoktorwürde der Universität zu Köln für seine Verdienste um die Erforschung des Verhältnisses von Christen und Juden im Nationalsozialismus. Mit Professor Jörg Thierfelder verfasste er das Standardwerk „Juden, Christen, Deutsche“.

Die Nachforschungen zum Leonberger KZ waren eigentlich nach zwei Jahren abgeschlossen. „Aber wir waren überrascht: Wir fanden nicht nur Akten, wir fanden Menschen – und das verpflichtet“, sagt Röhm. Die KZ-Gedenkstätteninitiative gab mit den Stahltafeln den zu Nummern degradierten Häftlinge nicht nur eine Identität zurück, sie organisiert auch Treffen mit den Überlebenden und ihren Familien. Und über die Jahre haben sich sogar Freundschaften daraus entwickelt.
Susanne Müller-Baji

Information:

Über das KZ Leonberg, seine Gedenkstätte und den Stadtrundgang „Weg der Erinnerung“ informiert die Broschur „Stationen auf dem ‘Weg der Erinnerung’ – Das KZ-Außenlager Leonberg 1944 - 1945“, herausgegeben von der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg, das unter 07152/26 640 erhältlich ist. Informationen gibt es auch im Internet: www.kz-gedenkstaette-leonberg.de


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