Erinnerungstafel auf dem Friedhof

von Stefan Bolz
Leonberg (sb). Seit gestern erinnert eine kleine Tafel vor dem Mahnmal auf dem Friedhof in der Seestraße daran, dass im Konzentrationslager Leonberg auch junge Männer aus dem französischen Ort Senones gestorben sind.
Leonberger Kreiszeitung, 14. November 2005

„Zum Andenken an unsere Väter. Die Waisen von Senones", steht auf der Tafel, die die stellvertretende Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative, Renate Stäbler, enthüllte. In einer kurzen Zeremonie nach der Feierstunde zum Volkstrauertag erinnerte Stäbler an die Ereignisse, die im Oktober 1944 zur Deportation von 354 Einwohner von Senones, Vieux-Moulin und Menil führten. Stäbler las Passagen aus dem Bericht der Augenzeugin Claire Loure vor (s.u.). Im Anschluss nutzten die etwa 30 Besucher die Gelegenheit, die Tafel in Augenschein zu nehmen. Eberhard Röhm, Vorsitzender der Gedenkstätteninitiative, will nun die Kontakte nach Senones intensivieren. Es sei wichtig, neben dem allgemein gehaltenen Mahnmal den Opfern auch einen Namen zu geben.


In Ergänzung des obenstehenden Presseartikels hier die von Renate Stäbler vorgetragenen Passagen aus dem Augenzeugenbericht.

Die Deportation - von Claire Louré

Es war kalt an diesem 5. Oktober 1944, sehr kalt um 8 Uhr morgens, ich fühlte ein gewisses Unwohlsein in mir, eine Befürchtung, mein Mann war in seinen Friseursalon gegangen. Ich war in der Waschküche, als plötzlich die Tür gewaltsam geöffnet wurde unter den Schlägen zweier Deutscher, die ihre Gewehre auf mich richteten und sagten: „Papiere“. Blitzschnell habe ich gedacht: Sie suchen meinen Mann! Denn, das Gewehr im Rücken, musste ich alle Türen meines Hauses öffnen, dann haben sie mich mit einem neuerlichen Stoß dazu gebracht, die Schwelle meines Hauses zu überqueren ohne mir Zeit zu lassen, ein Kleidungsstück mitzunehmen.

Um 10 Uhr genau auf der Schuluhr stellten die Deutschen einen Konvoi der Frauen aus diesem Teil von Senones zusammen. Wohin gingen wir?

Als wir beim Kriegerdenkmal ankamen, verließ ein anderer Konvoi das 1. Bataillon, Männer und Frauen gemischt, ich habe nur den guten Freund meines Mannes Jean Soudière gesehen, im Gedächtnis behalten.

Unser Konvoi ging dem des 1. Bataillons voraus, wir sind dann als erste in den Hof der Fabrik hineingegangen, wo ich mit Bestürzung meinen Vater unter den anderen gesehen habe. Alle Ausgänge dieses großen viereckigen Hofes mit hohen Mauern waren von Gewehren, die auf uns gerichtet waren, bewacht.

Wir waren festgenommen, eingeschlossen, die Arbeiter waren seit 6 Uhr morgens dort, wo die SS in die verschiedenen Dienststellen hereingestürmt war. Aber, was beunruhigend war, die Arbeiter, viele jungen Leute des Hüttenwerkes waren eingeschlossen. Warum? Eingeschlossen!
Wir standen alle da, wir, in Erwartung einer Katastrophe.

Genau am Mittag - die Kirche zeigte die Uhrzeit an – ließ sich ein Lautsprecher vernehmen: „Anweisung an alle schwangeren Frauen, aus der Reihe zu treten.“

Wir waren 7 schwangere Frauen, die SS ließ uns aus der Fabrik gehen und an der Mauer aufstellen, da, wo die Gedenktafel angebracht ist, die an diese Ereignisse erinnert.

Genau um 2 Uhr hat sich ein Soldat von den anderen entfernt um uns zu sagen: „Ihr fortgehen!“
Niemand hat einen Ton von sich gegeben….

Es ist mir nie möglich gewesen zu sagen, wer diese sieben schwangeren Frauen gewesen sind, und ich habe es nicht gewagt, danach zu forschen.

Ich bin unentschlossen vor der Abtei stehen geblieben, die Meinigen waren eingeschlossen – was sollte ich tun… Im gleichen Augenblick hielt ein Auto. Monsieur Thumann vom Schloss stieg aus, Monsieur Colin und ein anderer, dessen Gesicht so geschwollen war, dass es mir nicht möglich war, ihn zu erkennen.

Ich wurde verjagt. In diesem Augenblick kommt ein zweiter Wagen, ein Nachbar meiner Mutter, Marcel Schalck, steigt aus, die Hände über dem Kopf zusammengebunden.

Dann, als ich zwei Minuten später am Kriegerdenkmal vorbeigehe, sehe ich meinen Mann, von zwei SS-Leuten eingerahmt, an seinem Blick habe ich verstanden, dass ich ihn nicht kennen sollte… ein fürchterlicher Augenblick…

Ich bin schnell zu meiner Mutter hinaufgegangen, ich habe niemand getroffen, alles schien wie ausgestorben….
Man erhoffte auch die Rückkehr der Männer an diesem Abend, aber es war eine Schreckensnacht, die folgte, Schrecken, weil man den Himmel auf der Seite von Vieux-Moulin hell entflammt sah.

Ich komme auf diese schreckliche Nacht im Schein des Brandes zurück und die Lautsprecher, die uns die ganze Nacht aufgefordert haben, „Nähmaschinen – TSF (Radioapparate?) – Fahrräder – Petroleumlampen – Stiefel – und zwei Paar Socken pro Einwohner“ zu bringen. Es wurde ein Trauerzug. Während das Dorf brannte, waren wir Repressalien ausgesetzt, wenn wir nichts brachten.

Dann, gegen 2 Uhr morgens, eine Kavalkade im Treppenhaus. Das war mein Bruder Marcel, nass bis auf die Knochen und bedeckt mit Müll…

Eingesperrt im Hüttenwerk wurden sie von den ehemaligen Arbeitern, die die Örtlichkeiten genau kannten, ermutigt, sich durch den Abwasserkanal, der in den Rabodeau gegenüber der Knabenschule führt, zu retten. Wenige junge Männer haben den Mut gehabt. Glücklicherweise hat mein Bruder Marcel, gemeinsam mit einem Dutzend anderer nicht gezögert, sonst wäre er tot. Wenige der jungen Leute haben neun Monate Deportation überlebt. Wir haben ihn in dem Schutzraum, den wir für meinen Vater vorbereitet hatten, versteckt. Aber sie wurden weder gezählt noch gesucht. Als ich an diesem Morgen des 6. Oktobers 1944 hinuntergegangen war, wollte ich zu Alice Hertzog, die in der Nähe der Fabrik wohnte. Ich dachte, dass sie vielleicht wissen könnte… „Ich habe die ganze Nacht Männer schreien hören“ hat sie mir gesagt, „das ist alles.“

Gegen 16 Uhr am 6. Oktober kehrten wir in die Stadt zurück trotz der möglichen Gefahr. Aber vorher hatten wir beschlossen, dass Ida Zanchetta mitgehen sollte. Ihr Bruder Angel war mit den Leuten aus dem Viertel Haut-Bout eingesammelt worden.
Wir sind das Sträßchen hinuntergegangen, die kleine Straße, die in das Stadtzentrum einmündet. Als wir dort ankamen, sahen wir einen mit Männern beladenen Lastwagen aus der Fabrik kommen, wir sind gerannt, um ihn zu treffen, und da haben wir meinen Vater mit anderen Männern auf dem Lastwagen gesehen, alle standen eng aneinander gepresst, Angel war an meinen Vater gedrückt.

Das war das letzte Bild! Yvette und ich liefen hinter dem Lastwagen her und schrieen „Papa, Papa! Angel!“ Dieses Photo ist für immer in mein Herz eingebrannt; es war die letzte Fahrt der Männer, wir waren die einzigen Frauen aus Senones, die sie die Fabrik hatten verlassen sehen. Ich könnte tausend Jahre leben und das Bild würde nicht aus meinem Gedächtnis gelöscht werden. Und ich würde diese Ereignisse mit der gleichen Intensität wieder erleben…


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