Esther Bejarano singt für die Menschlichkeit

von Marion Graeber
Sieben Jahrzehnte KZ Leonberg: Anlass für eine Lesung und ein beeindruckendes Konzert mit einer der letzten Überlebenden des Auschwitzer Mädchenorchesters an der Gedenkstätte am alten Engelbergtunnel.
Leonberger Kreiszeitung, 12. Mai 2014

Esther Bejarano ist eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz. Ihre Geschichte berührt. Lauscht man ihren Worten, die sie aus ihrem Buch vorträgt, wird man in eine Welt versetzt, die man heute nicht fassen, nicht greifen und nicht begreifen kann. Sie ist gekommen, um auch nach 70 Jahren die Erinnerung an die Schrecken des KZ in Leonberg wach zu halten.

Esther Bejarano wurde 1924 in Saarlouis geboren und ist in Saarbrücken und in Ulm aufgewachsen. 1940 kam sie im Alter von 16 Jahren allein in ein Palästina-Vorbereitungslager. Von diesem Zeitpunkt an hat sie ihre Eltern und Geschwister nie wieder gesehen. 1941 wurde sie in ein Zwangsarbeitslager gebracht, von wo es weiter nach Auschwitz ging. Dort hafte sie sinnlose Schwerstarbeit zuverrichten. „Ich musste ganz schwere Steine schleppen. Ich habe das vier Wochen gemacht, merkte aber, wie meine Kräfte schwanden", erläutert sie.

Mit der Anfrage für das Mädchenorchester sah Bejarano eine Möglichkeit, der stupiden vernichtenden, ja zu entgehen. Das junge Mädchen spielte Klavier, doch anstatt des Klaviers gab es nur ein Akkordeon. „Ich nie ein Akkordeon in der Hand, aber ich habe gesagt, ich könne spielen". erzählt sie. „Es gelang mir, die Töne zu treffen, es war wie ein Wunder", fährt sie fort. Und genau dieses Wunder mit und um das Akkordeon rettete dem jungen Mädchen das Leben. Fortan musste sie nicht mehr schwer schleppen. Am Auschwitzer KZ-Tor begleitete sie die zur Arbeit gezwungenen Menschen mit Marschmusik in den Tag. Auch als sie geschunden zurückkamen, wurden sie mit Musik empfangen. Selbst Neuankömmlinge wurden so begrüßt.

„Die Menschen dachten damals, wo Musik spielt kann es nicht so schlimm sein. Das war eine schreckliche psychische Belastung für das Orchester", betont sie traurig. Furchtbare Erlebnisse, Krankheit, Leid und Tod begleiteten Bejarano bis zum Kriegsende. Doch sie überlebte den Holocaust. Sie wanderte nach Palästina aus, kehrte später nach Deutschland zurück und lebt heute in Hamburg. Zusammen mit ihrer ebenfalls singenden Tochter Edna und ihrem Sohn Joram am Bass musiziert sie seit den 80-er Jahren jüdische und antifaschistische Lieder. Gemeinsam mit den Kölner Rappern „Microphone Mafia" war sie nun am Eingang zum alten Engelbergtunnel zu erleben. Rosario Pennino und Kutlu Yurtseven kennen sich seit ihrer Kindheit. Die Immigranten-Kinder fingen an, gemeinsam Musik zu machen und rappten Italienisch, Türkisch, Kölsch und Deutsch.

Nachdem der Lehrer Yurtseven der heutigen Jugend mit „Wir rappen die Klassiker" Goethe und Schiller näherbringen konnte, wurden sie angefragt, ob sie nicht auch Texte von Überlebenden des Naziterrors vertonen wollten. Mit dem Kontakt zur Familie Bejarano entstanden verschiedene Projekte. Eines davon ist „LaVita Continua - Das Leben geht weiter, Musik für die Menschlichkeit". „Wir empfinden es als Geschenk des Schicksals", erklärt Yurtseven das gemeinsame Musizieren mit Esther Bejarano. Die Lieder haben intensive Texte, in denen es um Gerechtigkeit, Menschlichkeit und die Individualität geht. Die Mischung aus Rap, Lied und Lyrik, aus traditionellen und neuen Texten, macht dieses Projekt besonders.

So zeigen die Musiker eindrücklich, dass Menschen verschiedener Generationen, Länder und Religionen gut miteinander leben können. "Gemeinsamkeit erlebten auch die Schüler des Johannes-Kepler-Gymnasiums Leonberg bei ihrer Klassenfahrt nach Auschwitz beim "March of the Living". Stellvertretend erzählten die Zehntklässerinnen Clara Immler und Laura Kleckner von ihren Begegnungen und Erfahrungen. "Wir haben auch auf unserer Reise Zeitzeugen gehört. Uns ist aufgefallen, dass es ihnen sehr wichtig war zu erzählen", erläutert Clara Immler. "Man kann nicht verarbeiten, was man sieht, das muss man sacken lassen, bis man es sich bewusst machen kann", unterstreicht Laura Kleckner.

Die Rap- und Beatbox-Performance von "Toba Borke und Pheel" schloss den beeindruckenden Abend, der leider immer wieder von Regengüssen durchzogen war. Dieser einzigartige, besonderen Stimmung und dem Gefühl der Gemeinschaft tat dies jedoch keinen Abbruch.


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