Furcht vor Wiederholung der Gewalt

von Ulrich Hanselmann
In Leonberg sorgt eine Veranstaltung der KZ-Gedenkstätteninitiative für erhöhte Alarmbereitschaft
Stuttgarter Nachrichten 20.01.2012

Der Stadt Leonberg droht in einer Woche eine Wiederholung der schweren Auseinandersetzung zwischen Links- und Rechtsextremen vom 16. September 2011. Die Polizei bereitet sich bereits auf einen möglichen Großeinsatz am 27. Januar vor.

Auslöser des befürchteten Zusammentreffens zwischen Anhängern der rechtsextremen Szene und sogenannten Antifaschisten ist ausgerechnet eine Veranstaltung der örtlichen KZ-Gedenkstätteninitiative. „Wir haben zusammen mit der Stadt unsere Bedenken dargelegt“, sagt Markus Geistler, Leiter des Leonberger Polizeireviers, am Donnerstag gegenüber unserer Zeitung. Die Initiative, vertreten durch die stellvertretende Vorsitzende Marei Drassdo, hat sich davon nicht beeindrucken lassen: „Wir wollen uns die Wahl von Referenten und Themen auf keinen Fall von der Meinung rechtsextremer Gruppen vorschreiben lassen.“

Umzu verstehen, warumzwischen der Initiative auf der einen und Polizei sowie Oberbürgermeister Bernhard Schuler auf der anderen Seite jetzt erhebliche Meinungsverschiedenheiten herrschen, ist ein Rückblick auf den 16. September nötig.An jenem Freitag, im Rahmen einer antifaschistischen Woche, hatte Robert Andreasch einen Vortrag in der Leonberger Beat-Baracke gehalten. Der freie Journalist aus München recherchiert über die rechte Szene und gilt dort, so Schuler, als „Reizfigur“. Derzeit beobachtet er am Landgericht Stuttgart den Prozess um den Brandanschlag in Winterbach.

An jenem Freitag wollten in Leonberg etwa 20 Rechtsextreme „Gegen linke Hetze und Gewalt“ demonstrieren. Zu dem bei der Kommune angemeldeten und genehmigten Marsch vom Bahnhof in die Innenstadt kam es aber nicht.

Etwa 200 Antifaschisten fingen diemit der S-Bahn angereisten Rechten bereitsam Bahnhof ab. Dabei kam es zu Angriffen auf Polizisten, die beide Lager trennten. „Die extreme Gewalt ging ausschließlich von den Linken aus“, sagt Geistler. Der Leonberger Polizeichef war dabei, als Steine, Flaschen, Getränkedosen und Knallkörper flogen: „Wir haben noch gut 30 Polizisten aus Stuttgart bekommen, sonst hätten wir die Lage nicht im Griff gehabt.“ Am Ende waren 75 Einsatzkräfte am Bahnhof. Als die Rechten abreisten, wurden sie von ihren Gegnern verfolgt. An mehreren Haltestellen sprühten Antifaschisten Tränengas in die Waggons und warfen Steine gegen die S-Bahn. Ein Polizist und ein Rechtsextremer wurden verletzt, zahlreiche Linke wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch angezeigt.

Jetzt, am 27. Januar, dem Tag der Befreiung desKZAuschwitz, soll Andreasch wieder auftreten. Schuler will politisch motivierte Gewalt in der Stadt vermeiden und schlug der Initiative vor, einen anderen Redner zu holen. Im Gespräch war der Rechtsextremismus-Experte und frühere SPD-Landtagsabgeordnete Stephan Braun. Drassdo und ihre Mitstreiter hielten aber an Andreasch fest.

„Ich bedauere sehr, dass die KZ-Gedenkstätteninitiative Gewalt billigend in Kauf nimmt“, sagte Schuler am Donnerstag. Der Stadtchef befürchtet, dass bei einem erneuten Angriff der Linken „bei den Menschen eher Sympathie für die Rechten entsteht“. Polizeichef Geistler plant derweil schon für den Freitag, 27. Januar: „Wenn eine Demo von rechts angemeldet wird, müssen wir uns mit einer Lage wie damals befassen.“

Stadt und Initiative hatten bisher Veranstaltungen zum Holocaust-Gedenktag gemeinsam im Stadtmuseum gemacht.Nun gehen sie getrennte Wege. Andreasch spricht um 19 Uhr im Saal der Blosenbergkirche über „Die extreme Rechte in Süddeutschland und wie der Verfassungsschutz mit ihr umgeht“.

Die Stadt zeigt um 19.30 Uhr im Museum den Spielfilm „Schlaf der Gerechten“ nach der 1954 von Albrecht Goes geschriebenen Novelle „Das Brandopfer“.


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