Gedenkstättenreise des Landtags 2025

Landtagspräsidentin in Leonberg „Sie haben den Häftlingen wieder eine Stimme gegeben“

19.07.2025 - 18:00 Uhr
Landtagspräsidentin in Leonberg: „Sie haben den Häftlingen wieder eine Stimme gegeben“
Landtagspräsidentin Muhterem Aras ist tief bewegt von den Ausführungen des Historikers Eberhard Röhm. Foto: Simon Granville

Bei ihrem Besuch der KZ-Gedenkstätte in Leonberg zeigte sich Muhterem Aras tief bewegt von den Worten des 96-jährigen Eberhard Röhm, dem Gründer der Gedenkstätteninitiative.

Schwer beeindruckt war die Landtagspräsidentin Muhterem Aras von den ergreifenden Ausführungen des mittlerweile 96-jährigen Eberhard Röhm. Der Gründungsvorsitzende der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative hat 2011 zwar sein Amt aus gesundheitlichen Gründen an Marei Drasdo abgegeben, doch er ist noch immer mit größtem Engagement dabei, sich für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen einzusetzen – mit dem Ziel, sie niemals in Vergessenheit geraten zu lassen.

Röhm kennt die Personen zu den Geschichten

Gespannt lauschte die Grünen-Politikerin den Worten des Historikers und Religionspädagogen, der 1960 als Lehrer nach Leonberg kam, erst einige Jahre später vom KZ am Blosenberg erfuhr und sich mit anderen zusammen an die Aufarbeitung machte. „Zu jeder Geschichte kenne ich die Person dahinter persönlich“, sagte Röhm. Und die Frage, was ihm die Kraft gebe, so lange dabei zu sein, konnte sich Aras nach Röhms Führung durch die Gedenkstätte in der Tunnelröhre der ehemaligen Autobahn selbst beantworten. „Mit ihrer Initiative haben Sie den Häftlingen wieder einen Namen und eine Stimme gegeben.“ Röhm antwortete mit nachdrücklichen Worten: „Es gibt nichts Selbstverständlicheres, als das zu tun.“

Ihre diesjährige Gedenkstättenreise führte die Landtagspräsidentin zu fünf Orten der Erinnerung an den NS-Terror in den Landkreisen Böblingen, Ludwigsburg, Schwäbisch-Hall und Main-Tauber. Erste Stationen waren die KZ-Gedenkstätten in Leonberg und Vaihingen/Enz. Am zweiten Tag besuchte sie eine der ältesten noch erhaltenen Synagogen in Württemberg in Michelbach/Lücke, die Erinnerungsstätte „Die Männer von Brettheim“ in Rot am See-Brettheim sowie das Jüdische Museum in Creglingen.

Sie arbeiteten unter den unwürdigsten Bedingungen

Im KZ Leonberg mussten ab dem Frühjahr 1944 bis April 1945 etwa 5000 Häftlinge aus 24 Nationen Zwangsarbeit in den bombensicheren Röhren des Engelbergtunnels leisten, des ersten deutschen Reichsautobahntunnels. Dort mussten sie unter unwürdigsten Bedingungen Flugzeugteile fertigen. Hunderte Menschen starben. Im KZ Vaihingen/Enz, ebenso wie Leonberg ein Außenlager des KZ Natzweiler/Elsass, waren zwischen November 1944 und März 1945 rund 2500 Häftlinge beim Bau eines unterirdischen Bunkerwerks eingesetzt. Etwa 1600 von ihnen kamen zu Tode.

Eberhard Röhm erzählte, wie er seit so vielen Jahren Schulkindern die Geschichte des Leonberger Konzentrationslagers nahebringt. Wie er mit ihnen den „Weg der Erinnerung“ vom Bahnhof über den Friedhof, entlang der Seestraße hinauf zur Gedenkstätte zurücklegt und ergreifende Geschichte erzählt. „Heute bin ich nicht mehr so gut zu Fuß.“ Und wie er noch immer darüber überrascht ist, dass das KZ selbst nach dem Kriegsende viele Jahre lang in Leonberg einfach verschwiegen wurde. Und wie dann später die Kontakte zu den ehemaligen KZ-Häftlingen aufgebaut und gepflegt wurden. Wie die damals am Blosenberg verscharrten Leichen ein würdiges Grab auf dem Friedhof in der Seestraße bekamen. „Heute ist nur noch ein ehemaliger Häftling am Leben“, sagte Röhm. Um so wichtiger sei es, dass auch die nachfolgende Generation nie aufhöre, zu erinnern.

Wer keinen Widerstand leistet, nimmt Schuld auf

Muhterem Aras hätte mit Sicherheit noch weiter den Worten des Mahners und Versöhners, wie Eberhard Röhm gerne bezeichnet wird, gefolgt. Doch musste sie nach Vaihingen/Enz weiterziehen, wo sie bei der Abendveranstaltung in der Peterskirche noch einmal daran erinnerte, „dass es genau 80 Jahre ist, dass die Alliierten den Zweiten Weltkrieg in Europa beendeten und uns von der nationalsozialistischen Terror-Herrschaft befreiten“. Bei ihrem Besuch der Gedenkstätten im Land erfahre sie immer wieder neue menschliche Abgründe. „Und sie gehen einem nahe. Sie gehen mir nahe. Auch nach all den vielen Jahren, die ich mich sehr intensiv mit den Verbrechen des Nationalsozialismus beschäftige.“

Es sei so wichtig, den nationalsozialistischen Wahn nicht zu verleugnen, zu verharmlosen oder gar zu verklären. „Nein, der Nationalsozialismus hatte keine guten Seiten. Er hat einzig und allein das Schlimmste aus den Menschen hervorgebracht. Und zwar nicht nur aus wenigen Menschen, sondern aus einem Großteil des deutschen Volkes, das sich zur ,Herrenrasse’ aufschwang und der Welt den Krieg erklärte, das sich so sehr in Vorurteile und Fremdenhass verbohrte, dass es anderen Menschen das Menschsein aberkannte.“

Menschenwürde in der Verfassung an vorderster Stelle

Nun gehe es darum, zu wissen, so Aras, dass man Schuld auf sich nehme, wenn man keinen Widerstand leiste im Angesicht der Unmenschlichkeit. „Und es geht darum, stolz und dankbar zu sein, heute in einem Land zu leben, in dem die Menschenwürde in der Verfassung an vorderster Stelle steht, als Fundament unserer Demokratie. Aber dieser Fortschritt ist in Gefahr: Die gleichen Gruppen, die von den Nazis verfolgt und vernichtet wurden, werden auch heute von Rechtsextremen angefeindet und bedroht.“

Dankbar über den Besuch der Landtagspräsidentin und den Rückhalt aller demokratischen Fraktionen im Landtag, wie es Muhterem Aras versicherte, war Marei Drasdo, die Vorsitzende der Leonberger Gedenkstätteninitiative. „Wir haben schon lange darauf gewartet, dass Sie uns besuchen.“


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