Initialzündung des Erinnerns zu später Stunde

von Anja Tröster
Stuttgarter Zeitung, 26. Januar 2004

Zwei Frauen haben dokumentiert, wie die Leonberger auf das Konzentrationslager in ihrer Stadt reagierten
LEONBERG. "Kein Hass, aber auch kein Vergessen" hat Emile Gehant, Bürgermeister von Belfort, 1979 gefordert. Wie Leonberg im Laufe der Nachkriegszeit zwischen Erinnerung und Vergessen schwankte, darüber sprach Renate Stäbler gestern im Stadtmuseum.

"Eine Stadt will sich erinnern" war der Titel eines Symposiums, mit dem Kirche und Kommune die Geschichte des Konzentrationslagers inmitten der eigenen Stadt im Jahr 1979 aufarbeiten wollten. Die dreitägige Veranstaltung im "Haus der Begegnung" sollte zur "lnitialzündung des Erinnerns" werden, wie die beiden Frauen rückblickend resümieren.

Vier Jahre später nimmt das Stadtmuseum erstmals Gegenstände aus dem Lager in die ständige Ausstellung auf, Ende der Achtziger entsteht das Friedensdenkmal im Stadtpark, das erst im vergangenen November erneut ergänzt wurde. Nachdem 1998 der neue Engelbergtunnel in Betrieb genommen wird, entsteht ein Jahr später aus der Diskussion, was mit dem alten zu tun sei, die Idee zu einer Gedenkstätteninitiative.

Die Arbeit dieser Gruppe, die seit 1999 Kontakte zu ehemaligen Insassen des Leonherger Lagers aufgebaut hat, beschleunigte in den vergangenen fünf Jahren die Ereignisse - auch auf Grund der Erkenntnis, dass angesichts des hohen Alters vieler Zeitzeugen nicht mehr viel Zeit zum Sammeln authentischer Erinnerungen bleibt. Viel zu spät habe man damit begonnen, den Kontakt zu suchen, bemerkt Stäbler", die zugleich die stellvertretende Vorsitzende ist, heute mit deutlicher Kritik: "Leonberg ist der ohnehin zögerlichen Aufarbeitung noch deutlich hinterhergehinkt."

Dass es in der ersten Hälfte der Nachkriegszeit den Leonbergern aber so offensichtlich schwer fiel, sich mit dem Lager auseinander zu setzen, lag nicht nur an der allgemeinen Stimmungslage. Die Schwierigkeiten des Erinnerns, vermuten die beiden, hingen wohl auch mit der ablehnenden Haltung mancher örtlichen Politiker zusammen.

Namentlich Carl Schmincke, den zweiten Oberbürgermeister Leonbergs, kritisiert Stäbler für seine Schroffheit im Umgang mit ehemaligen Insassen des Lagers vehement. Eine Anfrage Hermann Lichts zum schlechten Zustand des KZ-Friedhofes auf dem Blosenberg habe Schmincke im Juni 1949 ohne Anrede und Gruß mit dem barschen Satz beantwortet: "Auf Ihr Schreiben vom 15. diesen Monats darf ich Ihnen mitteilen, dass der Friedhof inzwischen in Ihrem Sinne in Ordnung gebracht worden ist.

"Dass Schmincke offenbar zu jenen gehörte, die am liebsten einen Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen hätten, zeigt sich auch daran, dass er sich weigerte, den Bildhauer Richard Scholkmann für das 1946 entworfene Kreuz auf dem Blosenberg zu bezahlen. Scholkmann blieb also auf der unbezahlten Rechnung sitzen, nachdem zuvor das Innenministerium sich entgegen der Abmachung für nicht zuständig erklärt hatte.

Mit Beginn der Adenauer-Ära zieht sich die Stadt Leonberg aus der Verantwortung der bis dahin regelmäßig veranstalteten Gedenkfeiern zurück. Als im Juli 1953 eine französische Abordnung die Landsleute aus dem Massengrab am Blosenberg holt, um sie nach Frankreich zurückzubringen, werden die anderen Toten auf den Friedhof an der Seestraße überführt - doch "der Vorsatz, dort eine würdige Gedenkstätte zu schaffen, wird nicht so schnell umgesetzt", sagt Stäbler.

Erst 1962 wird das Mahnmal auf dem Friedhof' errichtet. Das Wort Konzentrationslager wird im Text sorgsam vermieden, die Namen der Toten werden nicht erwähnt. Es dauert 17 Jahre, bis die ersten Kontakte zu Belfort geknüpft werden und man sich wieder öffentlich mit der leidvollen Geschichte des Konzentrationslagers auseinander setzt.


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