Leserforum der Leonberger Kreiszeitung vom 23. November 2006 und 28. November 2006

Vorbemerkung:

In einem Artikel von Michael Schmidt in der Leonberger Kreiszeitung am 9. November 2006 aus Anlass dieses besonderen Tages und ein am Abend stattfindenden Vortrag von Prof. Eberhard Jäckel zum Thema „9. November“ sprach Schmidt vom „Erinnern an die eigene Vergangenheit der KZ-Stadt Leonberg“. Darauf reagierte der frühere Kulturamtsleiter der Stadt Leonberg, Karl-Heinz Fischötter, mit einem Leserbrief, in dem er davor warnte, von einem KZ in Leonberg zu sprechen.
Eberhard Röhm, Vorsitzender der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg e.V., antwortete in einem weiteren Leserbrief und stellte fest: Leonberg war ein KZ mit allem Grauenhaften, was ein KZ ausmachte.


Der Leser hat das Wort – Leonberger Kreiszeitung, 23. November 2006
Leonberg nicht „KZ-Stadt"

Zu „Leonberg darf seine Seele nicht verraten" vom 9. November

In Ihrer Ausgabe vom 9. November hat die Leonberger Kreiszeitung die Ereignisse zu den 9. Novembern der Jahre 1918, 1923, 1938 und 1989 gewürdigt und dabei die Stadt Leonberg zur „KZ-Stadt" erhoben. Ließ sich - frage ich - aus der 758-jährigen traditionsreichen Geschichte der Stadt keine andere Epoche geistiger und kultureller Blüte finden, die für ein Attribut zum Stadtnamen getaugt hätte, als gerade die zwölf Monate des Arbeitslagers Leonberg von Ostern 1944 bis Ostern 1945? Als Bürger dieser Stadt wehre ich mich gegen die Bezeichnung „KZ-Stadt", weil sie falsch ist und zudem ein negatives Image nach außen vermittelt!

Die „Zentralstelle zur Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen", Ludwigsburg, bei der die Fäden für die Verfolgung strafrechtlich relevanter Verbrechen zusammenliefen (und noch -laufen), hat das Leonberger Lager offiziell als „Arbeitslager" eingestuft - Dr. Rückerl, Chef der Zentralstelle, hatte 1978 den dort recherchierenden Vertreter der Stadt Leonberg aufgefordert, sich an die Ludwigsburger Sprachregelung zu halten. Die Häftlinge, in den Zivilberufen Facharbeiter, seien, so Dr. Rückerl, nach Leonberg verbracht worden, um dort Flugzeugteile zu produzieren. Die Bürger haben in den langen Jahrzehnten bis heute gern den Begriff „KZ" eingesetzt, weil er griffiger ist als der offizielle Name „Arbeitslager", von denen es damals ohnedies tausende in Deutschland gab.

Den gequälten Menschen, die seinerzeit psychischer Tortur, dem Hunger, dem Mangel an Schlaf (wegen ständigen Fliegeralarms), dem Lärm, und dem Staub im Tunnel ausgesetzt waren, wird der offizielle Name ihres seinerzeitigen Martyriums herzlich wenig interessieren. Die Bürger aber, denen heute die kulturelle und wirtschaftliche Blüte dieser Stadt am Herzen liegt, möchten sich den Touristen öffnen und Touristen in die Stadt ziehen; sie haben Sorge, Interessenten von auswärts könnten von einem Besuch Leonbergs durch das Aushängeschild „KZ-Stadt" abgeschreckt werden.

„Wie wäre es denn, wenn sich Leonberg noch stärker als touristisches Ziel profilieren würde?", fragte Thomas K. Slotwinski in seinem Kommentar bereits zwei Tage später. Wenn sich die Leonberger Kreiszeitung bei dieser Gemeinschaftsaufgabe durch eine positive Werbung zu Gunsten der Stadt miteinbringen will, kann sich jeder Bürger nur freuen. Das wird gewiss auch gelingen, wenn sich die Leonberger Kreiszeitung für immer von der Titulierung „KZ-Stadt" verabschiedet.

Karl-Heinz Fischotter
71229 Leonberg


Der Leser hat das Wort – Leonberger Kreiszeitung, 28. November 2006
„Leonberer KZ-Lager“ wissenschaftlich bewiesen

Zum Leserbrief von Karl-Heinz Fischötter „Leonberg nicht ‚KZ-Stadt’“ LKZ 23. November 2006

Das Leonberger „SS-Arbeitslager“, wie es beschönigend in amtlichen Dokumenten des Dritten Reiches heißt, war ein KZ-Außenlager, das unter der Kommandantur des KZ-Stammlagers Natzweiler stand. Das ist einhellige Meinung der historischen Wissenschaft. Es gibt keine „Ludwigsburger Sprachregelung“.

Durch eine Grundsatzentscheidung zwischen Hitler, Himmler und Speer im Herbst 1942 wurden die der SS unterstellten KZ-Häftlinge ab jetzt in die Rüstungsindustrie gesteckt. Es waren keineswegs nur Facharbeiter wie Karl-Heinz Fischötter behauptet. Nicht die Bürger haben für das Leonberger Lager „in den langen Jahrzehnten den Begriff ‚KZ’ eingesetzt“, wie Fischötter irreführend behauptet, sondern für die Nazis selbst war das Lager an der Seestraße ein KZ. Was soll also die verharmlosende und die ehemaligen KZ-Häftlinge verletzende sprachliche Reduzierung auf „Arbeitslager“?

Im Gegensatz zu den vielen Zwangsarbeitern, die es im letzten Kriegsjahr auch noch in Leonberg gab, hatten die KZ-Häftlinge im KZ-Lager an der Seestraße eine KZ-Häftlingsnummer, trugen die gestreifte KZ-Kleidung, hatten die in einem KZ üblichen körperlichen Misshandlungen durch KZ-Wachmannschaften und Funktionshäftlinge zu ertragen und wurden – und nur sie - schließlich im April 1945 auf den Todesmarsch nach Bayern geschickt. Die große Zahl jüdischer Häftlinge, die Ende 1944 direkt von Auschwitz ins Leonberger KZ gebracht wurden, sollten in unserer Stadt solange arbeiten bis sie ins Sterbelager KZ Vaihingen oder KZ Bergen-Belsen abgeschoben werden konnten und damit – wie zuvor ihre Familien in Auschwitz – ihrer endgültigen Bestimmung zugeführt waren. Einer von ihnen empfand Leonberg noch schlimmer als Auschwitz, wie er bei einem Besuch in einer Leonberger Schule erzählt hat. In Leonberg sollte also nur ein „Arbeitslager“ und kein „KZ“ gewesen sein?!

Junge Menschen bewerten es heute eher positiv, dass wir uns auch mit diesem Teil unserer Stadtgeschichte beschäftigen und mit den Begegnungen mit ehemaligen KZ-Häftlingen und ihren Familien durchaus zur Erinnerungskultur Leonbergs wie zur Völkerverständigung einiges beitragen.

Eberhard Röhm, Vorsitzender der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg e.V.


zurück