Neues über den Hunger und das Elend

von Petra Mostbacher-Dix
Stuttgarter Zeitung, 23. Oktober 2004

Zeitzeugin berichtet, wie die Häftlinge im Leonberger Krankenhaus behandelt wurden
LEONBERG. Im Mai soll die neue KZ-Gedenkstätte in Leonberg fertig sein. In ihrer Mitgliederversammlung hat die KZ-Gedenkstätteninitiative eine Finanzierungsidee sowie die Recherchen zum Arbeitslager vorgestellt.

Historiker kennen das. Wenn kaum Zeitzeugen zu finden sind und wenige Dokumente zur Verfügung stehen, weil sie beispielsweise zerstört wurden, kann man nur vermuten, wie sich die Vergangenheit zugetragen hat. Nichts ist allerdings schöner für einen Geschichtsforscher, als wenn sich diese Rückschlüsse bewahrheiten.

So erging es den Mitgliedern der KZ-Gedenkstätteninitiative mit den Plänen, Fotos, Namenslisten und Notizen, die der Historiker Joachim Baur aus den National Archives im amerikanischen Washington den Leonbergern mitbrachte (wir berichteten). "Vieles davon muss noch ausgewertet werden", erklärte Eberhard Röhm, Vorsitzender der KZ-Gedenkstätteninitiative bei der Mitgliederversammlung im Samariterstift.

Den Mitgliedern gehe es vor allem um die Opfer und Täter im Arbeitslager. Ständig werde nach neuen Informationen gesucht, und dementsprechend groß war die Freude bei Renate Stäbler und Monica Mather von der Initiative, als sich bei ihnen eine 80-Jährige meldete, die bestätigen konnte, dass die ehemaligen KZ-Häftlinge im Leonberger Krankenhaus behandelt wurden. Das habe man vermutet, so Stäbler. Schon die Leonberger Ärztin Sylvia Gruber habe erzählt, dass sie Häftlinge betreut habe.

Auch im Buch "I läb no" des ehemaligen Chefarztes des Leonberger Krankenhauses, Ernst Haaf, erinnerten sich Krankenschwestern an Menschen, die im Schlafanzug kamen. "Nun haben wir eine Bestätigung für das, was wir schon in unserem Buch angenommen haben", so Stäbler. So soll die Zeugin im Januar 1944 Sekretärin des Oberstabsarztes Doktor Max Wiegand gewesen sein. "Sie war dabei, wie der Arzt Häftlinge behandelte", sagt Stäbler.

Die Zeitzeugin erinnerte sich auch daran, wie Wiegand, der zudem Leonberger Amtsleiter für Rassenfragen war, einmal einem Deportierten den Gips abnahm und darin lauter Ungeziefer zum Vorschein kam. Ein anderes Mal habe der Arzt gesagt "Geh da weg, Kleines, der hat Hungertyphus", erzählt Renate Stäbler auf der Versammlung.

Neue Erkenntnisse konnte die stellvertretende Vorsitzende auch von den Zuständen in der Küche des Lagers vermelden. Stäbler und Mather hatten mit einer einstigen Küchenhilfe gesprochen, die wusste, dass die Häftlinge und das Wachpersonal sowie die Messerschmidt-Ingenieure in getrennten Räumen aßen. Während Letztere bedient und mit Sekt versorgt wurden, erhielten die Gefangenen nur ihren Schöpfer Suppe auf den Blechteller. "Die Wachleute bekamen größere Brotstücke", so Stäbler. Allerdings gab es auch Leonberger, die die Häftlinge auf ihrem Weg zum Tunnel notdürftig mit Nahrung versorgten: "Ein Mann wurde verwarnt, weil er Kartoffeln auslegte."

Wie lange solche Informationen noch zu finden sind, ist unklar - die Zeitzeugen sind betagt. Die Namen der Häftlinge sollen auf der Gedenkstätte eingetragen werden, die am 8. Mai zum 60. Jahrestag der Befreiung eingeweiht wird. Das Mahnmal kostet 50 000 Euro, immerhin 25 000 Euro sind an Spenden bereits beisammen. Zur weiteren Finanzierung verkaufen die Mitglieder unter dem Motto "3000 Nummern, 3000 Namen" nun "Bausteine": Für 20 Euro kann man ein Dokument mit dem Namen eines Häftlings erwerben und unterstützt so den Bau des Leonberger Denkmals.


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