Rundbrief KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg Januar 2008

Liebe Mitglieder und an der Gedenkstättenarbeit in Leonberg Interessierte,

zum Neuen Jahr alles Gute!

Vorweg eine wichtige Mitteilung:
Die für Donnerstag, 10. Januar, vorgesehene Mitgliederversammlung wird auf Mittwoch, 5. März 2008, 19 Uhr 00, im Samariterstift verschoben. Notieren Sie sich den Termin. Eine genaue Tagesordnung geht noch rechtzeitig zu.

Sodann laden wir Sie recht herzlich zu der traditionellen Vortragsveranstaltung zum 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag ein, die wir gemeinsam mit dem Stadtmuseum veranstalten.


Vortrag von Prof. Dr. phil. habil. Kurt Möller, Hochschule Esslingen

Sonntag, 27. Januar 2008, 11.00 Uhr, Stadtmuseum,
neben der Stadtkirche

„Liegt Rechtsaußen in der Mitte? Verbreitung, Entwicklung und Ursachen
von Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“

Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sind in unserem Alltag nicht mehr zu übersehen. Es ist Zeit, nach ihrer gesellschaftlichen Verbreitung zu fragen, damit Politiker und Bürger Wege der Abhilfe und Vermeidung finden können.
Wir müssen davon ausgehen, dass der Hang spezieller Problemgruppen zum Rechtsextremismus mit Denk- und Sprechweisen im Zentrum der Gesellschaft zusammenhängt. Prof. Möller, der in Esslingen Sozialpädagogen ausbildet, wird zeigen, dass die Überwindung der Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft nur in einem breit angelegten Konzept sinnvoll und möglich ist. Er ist durch zahlreiche Publikationen als ein besonderer Kenner der Thematik ausgewiesen (z.B. Rechtsextremismus in Baden-Württemberg. Verborgene Strukturen der Rechten, 2001; Soziale Arbeit gegen Menschenfeindlichkeit, 2007)

Der Eintritt ist frei. Wir bitten jedoch um Spenden zur Deckung der Unkosten.


Nachruf auf Michel Didier (1. Mai 1927 – 6. November 2007)

Michel Didier, unser Freund aus Frankreich, KZ-Gefangener in Leonberg vom Dezember 1944 bis April 1945, ist 80 Jahre alt geworden. Er starb, wie seine Frau Colette uns mitgeteilt hat, am 6. November. „Er war derart geschwächt durch sein Lungenemphysem“, so schrieb sie uns in einem Brief vom 20. Dezember, „dass das Herz nicht mehr die Kraft hatte und so hat er in meinen Armen das Leben verlassen, im Schlaf.“
Im Oktober 2001 hat uns Michel Didier auf Einladung unserer Initiative und der Stadt Leonberg Initiative zum ersten Mal besucht. Seine wachen Augen sehe ich vor mir. Es war nicht das erste Mal, dass er nach dem Krieg hierher zurückgekehrt ist. Jahre vorher war er schon einmal da, um an die Stätte unsäglichen Leidens zurückzukehren, ohne dass jemand in Leonberg dies wahrgenommen hätte. Meine zweite Begegnung: Im Juni 2003 waren Schülerinnen und Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums zusammen mit ihrer Lehrerin Gerda Mendler und drei Mitgliedern unserer Initiative auf Einladung ehemaliger KZ-Häftlinge in Charmes im Moseltal, der Heimat von Michel Didier. Obwohl inzwischen durch einen Verkehrsunfall schwer gesundheitlich angeschlagen, ließ er es sich nicht nehmen von seinem weit entfernten Wohnsitz im französischen Jura anzureisen und uns trotz Sauerstoffflasche, die er hinter sich herziehen musste, auf dem Gang durch das kleine Städtchen zu begleiten. Es war ihm unendlich wichtig, jungen Menschen zu erzählen, was Krieg, Barbarei und Faschismus im Leben von Völkern und Einzelnen für Unheil anrichten können.
Siebzehn Jahre war Michel Didier alt, genau so alt wie die Jugendlichen aus Leonberg, die ihm aufmerksam zuhörten, als französische Milizen und deutsche Wehrmachtsangehörige ihn zusammen mit 150 anderen Männern aus Charmes im September 1944 willkürlich verhafteten und er schließlich nach Deutschland verschleppt wurde. Nach einem kurzen Aufenthalt im Gefängnis von Schirmeck war seine erste Station in Deutschland Gaggenau, wo die Gefangenen Trümmer des luftzerstörten Daimler-Werks beiseite räumen mussten. Es folgte Dachau und ab Dezember schließlich Leonberg. Hier hauste er mehr als drei Monate in den neu errichteten Gebäuden auf dem Gelände des heutigen Samariterstifts in der Seestraße. Mitten im Winter gab es noch keine Fenster in dem Rohbau, so erzählte er Ingrid Bauz, die ihn im Oktober 2002 zu einem langen Interview in St.-Pont-Lac besucht hatte. Mit Grauen erinnerte er sich an die Arbeit im Tunnel, die Schläge, die sie bekamen, wenn ihnen die Kraft fehlte, zur Zufriedenheit der Vorarbeiter die Arbeit mit einem schweren Lineal oder das Schieben der Karren auf den Geleisen zu erledigen: „Hinzu kamen die Läuse, der Hunger, die Kälte und die Schläge mit einem Gummiknüppel eines Deutschen, der am Eingang des Tunnels stand.“
Am Ende des Krieges, nach durchstandenem Todesmarsch nach Bayern, erkrankte Michel Didier an Typhus: „Es war hart, sehr hart. Es gab Momente, wo ich Schluss machen wollte. Ich hatte keinen Willen mehr, weiter zu machen. Doch es war wichtig durchzuhalten. Das war das Wichtigste.“ So lautete sein Resümee im Interview. Im KZ Dachau erlebte er die Befreiung durch die Amerikaner.
Nach Rückkehr in das vom Krieg zerstörte Charmes folgten Ausbildung und Gründung einer Familie. In den Siebzigerjahren zog die Familie Didier arbeitsbedingt weg von Charmes. Michel war Angestellter einer Elektrizitätsgesellschaft. Im Ruhestand ließen sie sich in ihrem Ferienhaus in St.-Pont-Lac nieder. Ein letztes Mal traf ich Colette und Michel Didier bei den Feierlichkeiten zur Einweihung unserer Namenswand am 8. Mai 2005. Sie wollten dabei sein, obwohl Michel sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen konnte. Den Kontakt mit beiden hielt unsere Initiative aufrecht. Im Juli 2007 besuchten Beate und Pitt Adler sie noch einmal in ihrem schönen Haus am See.

Colette Didier schrieb uns:
„Nach 55 Jahren gemeinsamen Lebens wird er mir fehlen und ich muss allein weiterzuleben.
Glücklicherweise sind meine Kinder und Enkelkinder da, um mir Kraft zu geben, sowie alle unsere Freunde. Es bleiben mir wunderbare Erinnerungen an Reisen und Ereignisse, die ich mit Michel erlebt habe.
Ihnen allen wünsche ich frohe Weihnachten und ein sehr schönes Jahr 2008.
Meine herzlichen Grüße an die Freunde von Leonberg, die ich niemals vergessen werde.“

Eberhard Röhm


Nachruf auf Moshe Neufeld (7. Juli 1926 – 4. Januar 2008)

Vor wenigen Minuten habe ich über Ruth Tewes die Nachricht erhalten, dass gestern Moshe Neufeld in Israel verstorben ist. Da heute Sabbat ist, wird er vermutlich morgen, am Sonntag, im Kibbuz Barkai beerdigt werden. Wir kennen ihn alle von seinem Besuch bei uns in Leonberg her, als er am 24. Juni 2003 zur Eröffnung der Ausstellung seiner uns tief bewegenden Bildern zusammen mit seiner Frau Sarah und seiner Tochter nach Leonberg gekommen ist. Wir nehmen tiefen Anteil an der Trauer seiner Frau und seiner ganzen Familie.
Moshe Neufeld ist 82 Jahre alt geworden, geboren am 7. Juli 1926 in Satu-Mare, damals einem Zentrum orthodoxen und chassidischen Judentums im nördlichen Siebenbürgen (Rumänien). Mit 13 Jahren trat er der linkszionistischen Jugendorganisation „Ha Schomer Ha Za’ir“ bei. 1940 kam seine Heimat unter ungarische Herrschaft. Nach der Besetzung Ungarns durch die Deutschen im Frühjahr 1944 wurde seine ganze Familie in ein bewachtes Ghetto gebracht und im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert. Dort verlor Moshe Neufeld seine Mutter, seinen Bruder und seine Schwester und zuletzt auch den Vater. Ihnen hat er in seinen Bildern ein Denkmal gesetzt und gleichzeitig hat er versucht, im Malen mit dieser Erinnerung fertig zu werden. Er selbst war zeitweise auf einem Außenkommando in Rajskor in einer Gärtnerei tätig und überlebte so Auschwitz. Nach der Auflösung von Auschwitz am 18. Januar 1945 kam Moshe Neufeld auf einem der berüchtigten Todesmärsche über die Lager Gleiwitz, Großrosen, Flossenbürg nach Leonberg. Nach einem weiteren Todesmarsch von Leonberg nach Bayern im April 1945 und der Befreiung durch die Amerikaner in Tutzing, wanderte Moshe Neufeld im Dezember 1946 nach Palästina aus. Er lebte und arbeitete seither im Kibbuz Barkai im Norden Israels.
Moshe Neufeld schrieb in einem kurzen Lebenslauf im Juli 2001 aus Anlass einer Ausstellung seiner Bilder in Israel:
„Ich habe eine große Familie, eine Tochter, zwei Söhne und 13 Enkel. Ich bin mit mir selber im Reinen, nur meine Gesundheit lässt zu wünschen übrig.
Leider gibt es bis heute keinen Frieden im Lande, die Araber wollen mit uns keinen Frieden schließen und zur Zeit ist die Spannung im Lande sehr groß.
Für die Zukunft möchte ich voraussagen, dass uns die Geschehnisse in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit überrollen werden. Wie ich hoffe zum Guten. Uns bleibt, auf den Zusammenhalt unserer Familie zu achten, soweit das möglich ist, auf gute Gesundheit der Familie, Gedeihen, Befreiung und Frieden für uns und das ganze Land.“
Im Oktober 2001 hatten wir Moshe Neufeld zur Präsentation des Buches über das KZ Leonberg hierher eingeladen. Er wollte und konnte nicht kommen, weil der Tag des Fluges mit dem Erinnerungstag der Ermordung seines Vaters in Auschwitz zusammen fiel. Er schickte seine beiden Söhne an seiner Stelle nach Leonberg und blieb mit ihnen während der ganzen Zeit ihrs Aufenthalts telefonisch im Kontakt.
Dank der Unterstützung durch die Stadt Leonberg konnten zwei Jahre später über vier Monate hinweg seine Bilder im Stadtmuseum gesehen werden und er selbst war bereit, nun doch nach Leonberg zu kommen. Während dieser Zeit gab es eine für ihn sehr schöne Begegnung mit Richard von Weizsäcker im Gebersheimer Pfarrhaus. All die Jahre hinweg haben wir brieflich Verbindung mit ihm und seiner Familie gehalten. Einmal im Jahr haben Zeev Goldreich und Ruth Tewes ihn besucht.
Was uns bleibt, ist die Erinnerung an ihn und seine Bilder.
Eberhard Röhm


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