Stadtmuseum zeigt Bilder des Schreckens

von Bartek Langer
Leonberg Holocaust-Gedenken: Der Historiker Frank Reuter erinnert an den Völkermord an Sinti und Roma.
Leonberger Kreiszeitung, 29. Januar 2014

Mehr als 500 000 Sinti und Roma sind dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen. Namenslisten zufolge waren auch im Konzentrationslager Leonberg mehrere ungarische Roma untergebracht, 17 Sinti aus Magstadt wurden nach Auschwitz deportiert. Anlässlich des Holocaust-Gedenktages setzte sich Frank Reuter im Leonberger Stadtmuseum anhand überlieferter Fotografien mit ihrem Schicksal auseinander.

Der Historiker aus dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg zeigte Bilder aus den Blickwinkeln der Täter, deren Wahrnehmungsmuster bis heute fortwirken.

Bilder, um Sinti und Roma zu stigmatisieren, habe es schon lange vor der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten gegeben, berichtete der Historiker Frank Reuter, der auf Einladung der KZ-Gedenkstätteninitiative referierte. Alte Schulbücher etwa versinnbildlichten den Buchstaben „Z" am Beispiel einer bettelnden Zigeunerin. Auch das Nomadentum gehörte dem Historiker zufolge schon immer zum Kern des Stereotyps. „Doch das hat mit der Lebenswirklichkeit der seit 600 Jahren in Deutschland lebenden Sinti und Roma nichts gemein."

Die bildliche Entmenschlichung und Kriminalisierung der Sinti und Roma habe ihren Höhepunkt im Dritten Reich erreicht. Insbesondere die umfassende Dokumentation der „Rassenhygienischen Forschungsstelle" zeuge davon. „Die Mitarbeiter suchten objektive Kriterien und eine an thropologische Formel, um Zigeuner wie auch Juden naturwissenschaftlich eindeutig zu identifizieren", erklärte der Referent. Die körperlichen und morphologischen Messungen der Rassebiologen wurden ergänzt durch die Ablichtung der Probanden. Die Pupillen wurden mit Makroobjektiven abfotografiert, auch Augen, Nase, Hände. Schließlich fertigten die Wissenschaftler sogenannte Dreierserien an, um die Gesichtsformen festzuhalten. „Der naturwissenschaftliche Rassismus war eine Schlüsselfunktion des Völkermordes", hob der Historiker hervor. )

Die primäre Aufgabe der Propagandakompanien habe darin bestanden, den Krieg als ein aufregendes Abenteuer darzustellen. „Die Nazis haben sehr genau darauf geachtet, was publiziert wurde", so der Historiker. „Die schöne Welt der NS-Propaganda stand im absoluten Gegensatz zu der Realität der Sinti und Roma." Amateurfotos der einfachen Wehrmachtssoldaten sprachen eine ganz andere Bildsprache. Bei ihnen standen Gewaltakte hoch im Kurs. „Es gab einen regelrechten Hinrichtungstourismus sagte der Referent. „Wenn Leute öffentlich erhängt wurden eilten die Soldaten herbei und zückten ihre Kameras." Nicht selten sei auch sexuelle Gewalt an Frauen fotografisch festgehalten worden. „Die Soldaten besetzten das Land und bildeten sich ein, dass sie sich alles nehmen können, was ihnen beliebt", erklärte der Referent.

Bilder des Schreckens, die ursprünglich zu einem anderen Zweck entstanden seien, stammten direkt aus den Konzentrationslagern. Josef Mengele und andere skrupellose Lagerärzte hätten während ihrer Experimente an Häftlingen detaillierte medizinische Dokumentationen anfertigen lassen. Nach dem Krieg sei das Material so manchem Wissenschaftler vor Gericht zum Verhängnis geworden. Bis heute bediene man sich in der Fotografie der alten Klischees. „Der Gedanke an ein buntes Zigeunerleben ist ein Hohn auf das Schicksal dieser Menschen", sagte Reuter. Seiner Meinung nach werden Sinti und Roma immer nur als Folie eigener Sehnsüchte und Fluchtfantasien missbraucht. „Das ist aber ein extremer Gegensatz zu der Lebenswirklichkeit der Überlebenden, die fast 40 Jahre kämpfen mussten, bis eine deutsche Regierung den Völkermord an ihnen anerkannte."

Leonberg/Gerlingen
„Hinterm Berg“ in der Steinturnhalle

Das Theaterstück „Hinterm Berg", das sich mit der NS-Zeit in der näheren Umgebung auseinandersetzt, hat die Theatergruppe am Gerlinger Robert-Bosch-Gymnasium erarbeitet. Dabei stand die Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative beratend zur Seite. Am Samstag, 22. Februar, führen die Mimen das Stück um 19 Uhr auch in der Steinturnhalle in Leonberg auf. Platzkarten zu zwei Euro gibt es bei der Buchhandlung Bücherwurm, Graf-Eberhard-Straße 7.


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