Stolperstein für Leo Sonder

Stolperstein in Chemnitz erinnert an einen ehemaligen Häftling aus Leonberg

Am 6. Mai 2021 war es soweit: der Stolperstein für Leo Sonder wurde neben den schon früher gesetzten Stein seiner Ehefrau Zita Sonder gesetzt. Leo Sonder ist für die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg kein Unbekannter. Er wurde am 16. März 1945 vom KZ Flossenbürg in das überfüllte und verseuchte KZ Leonberg überstellt – es war der letzte Transport, der überhaupt noch Leonberg erreichte. Nach wenigen Wochen kam er auf die Todesfahrt nach Dachau, wo ihn am 30. April 1945 die US Army befreite - er war gerade 46 Jahre alt geworden und gehörte zu den wenigen Chemnitzer Juden, die den Nationalsozialismus überlebten.

 

Sven Schulze (SPD), Oberbürgermeister von Chemnitz, bei der Verlegung von Stolpersteinen auf dem Gehweg der Zschopauer Straße. Hier steht noch immer das von den Nazis zum „Judenhaus“ deklarierte Gebäude, in das auch die Familie Sonder gezwungen wurde.        © Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa

Leo Sonder, geboren am 3.3.1899, stammte aus Main Stockheim bei Würzburg, die Familie lebte seit Generationen in Franken. Mit Vollendung seines 17. Lebensjahrs meldete er sich, wie so viele deutsche Juden, freiwillig zum Militär. Sein Patriotismus schützte ihn im August 1918 nicht vor einer schweren Verwundung durch einen Lungensteckschuss. Nach der Ausrufung der Republik und der Demobilisierung des Heeres trat er der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei und zog nach Chemnitz. Von 1923 bis 1938 brachte er als Weinhändler den Sachsen den Frankenwein näher, er heiratete Zita Stein, der Sohn Justin kam 1925. Vor 1933 gab es in Chemnitz ein reges jüdisch-kulturelles Leben mit etwa 3500 Gemeindemitgliedern. Die Gemeinde war liberal. Sie wurde von den Nazis ausgelöscht. Während der November-Pogrome 1938 – Reichspogromnacht – konnte Leo Sonder zu Bekannten fliehen und sich in der Sächsischen Schweiz verstecken. Es half nichts: die Nazis griffen ihn, verhafteten ihn, Zwangsarbeit folgte. Die Familie musste ihre Wohnung verlassen und wurde in das „Judenhaus“ Zschopauer Straße eingewiesen – dort, wo jetzt am 6. Mai der Stolperstein gesetzt wurde.

 Mit Kriegsbeginn brauchten die Nazis keinerlei Rücksicht mehr auf die in der Weimarer Republik für jeden Bürger geltenden Rechte zu nehmen, die Erinnerungen der Familie und Dokumente im Archiv ITS Bad Arolsen sprechen für sich:

  • September 1942 Einlieferung des Ehepaars Sonder ins Ghetto Theresienstadt, der 16-jährige Sohn Justin bleibt allein in Chemnitz zurück und muss in einem Rüstungsbetrieb Zwangsarbeit leisten. Am 29. Januar 1943 folgt die Deportation in das KZ Auschwitz, Zita Sonder wird sofort ermordet.
  • Am 3.3.1943 wird der Sohn Justin ins KZ Auschwitz eingeliefert, er wird als „nützlich“ selektiert. Im Sommer 1943 sieht Justin dort seinen Vater wieder.
  • Im Januar 1945 erfolgt die „Evakuierung“ des KZ Auschwitz: Vater und Sohn werden in offenen Kohlewaggons transportiert und landen im KZ Sachsenhausen.
  • Am 6. Februar werden sie ins KZ Flossenbürg überstellt.
  • Leo und Justin Sonder werden getrennt, der Vater kommt am 16.3.1945 ins KZ Leonberg, der Sohn bleibt in Flossenbürg.
  • Der Krieg ist aus. Die beiden Männer machen sich auf den „Heimweg“ nach Chemnitz, zufällig treffen sie sich in Weiden/Oberpfalz.
  • Am 10 April 1946 zeigt ein Dokument über die „Erfassung ehemaliger Verfolgter“ eine Adresse mit Leo Sonder in Chemnitz, Franz-Mehring-Straße 16.

In der total zerstörten Stadt gab es kaum Wohnraum. Leo Sonder wandte sich an den ehemaligen sächsischen SPD-Innenminister Max Müller, den er noch aus Weimarer Zeit kannte. Im November 1945 heiratete er dessen Tochter Hertha Müller. Im Januar 1948 wurde er Mitglied des neugegründeten Vorstandes der Jüdischen Gemeinde. Drei Monate vor seinem fünfzigsten Geburtstag starb Leo Sonder an den Spätfolgen der Haftbedingungen in den KZ, er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Chemnitz beigesetzt.

Sein Sohn Justin besuchte im Mai 2013 das einwöchige Jugendcamp in Leonberg. Hunderte Schüler hämmerten mit Schlagbuchstaben die Namen der fast 1000 Männer aus dem KZ Flossenbürg in Eisenbleche und versuchten, sie so dem Vergessen zu entreißen. Zeitzeugen wie Justin Sonder konnten die Jugendlichen zum Leben im Nationalssozialismus und in der Shoa befragen.

 

Am 9.5.2013 wird die Skulptur „Haus der 1000 Namen“ eingeweiht. Justin sieht den Namen seines Vaters Leo Sonder. Justin Sonder konnte das Setzen des Stolpersteins für seinen Vater nicht mehr erleben, er starb am 3.11.2020.


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