Tolle Ausblicke, gigantische Weitblicke und traurige Einblicke

von Thekla Dörler
NAH-TOUR (35) Ein Ausflug zum Leonberger Engelberg lohnt sich vom Turm bis zum Tunnel
Leonberger Kreiszeitung, 7. September 2007

Marbach statt Mallorca, Enztal statt Engadin - immer mehr Menschen verbringen ihren Sommerurlaub zu Hause. Daheimbleiben heißt keinesfalls Langeweile. Die "Nah-Tour"-Serie zeigt, wie vielseitig das Freizeitangebot in und um Leonberg ist. Heute, Teil 35: der Engelberg - von ganz oben nach ganz unten.

Ein beliebtes Ausflugsziel, eine beeindruckende Aussicht, ein berühmter Autobahntunnel - der Leonberger Engelberg hat genügend Geschichten zu erzählen, um ihm einen freien Tag zu widmen. Wer den gern ruhig beginnt, lässt sich zunächst auf einer der vielen Bänke nieder, die man ganz oben, rund um die Engelbergwiese findet oder legt sich - ganz Naturkind - ohne Scheu ins grüne Gras. Wer den körperlich anstrengendsten Teil der Reise lieber gleich hinter sich bringen möchte, startet seine Engelberg-Erkundungstour sportlich mit dem Aufstieg auf den dazugehörigen Engelbergturm.

Um dort nicht vor verschlossener Tür zu stehen, reicht unter der Woche ein Anruf beim Leonberger Bürgeramt, auf dem der Schlüssel abgeholt werden kann. Sonntags und an Feiertagen ist der Engelbergturm bei schönem Wetter von 9 bis 17 Uhr geöffnet - und das bis in die Herbstmonate hinein.

Den herrlichen Rundblick, den man erst nach 123 überwundenen Treppenstufen auf dem Wahrzeichen Leonbergs genießen kann, teilen Kenner gerne auch mal mit anderen: "Wir haben gerade Besuch aus dem Ausland, dem wollten wir unbedingt mal die schöne Aussicht von hier oben zeigen", erzählt ein Besucher. Seine Gäste scheinen zufrieden. Kein Wunder, kann man an einem klaren Tag in knapp 500 Höhenmetern immerhin bis zum Schwarzwald schauen. Und falls der Familie und ihrem Besuch die Zeit für den obligatorischen Ausflug nach Stuttgart fehlen sollte, so haben die Gäste den Fernsehturm zumindest aus der Ferne sehen können.

Und der heimische Turm erfreut sich auch bei anderen Besuchern größter Beliebtheit. "Ich bin zwar der Meinung, die unleserlichen Umgebungstafeln könnten mal erneuert werden, aber der Blick von hier oben ist wirklich fantastisch", schwärmt beispielsweise Monika Täumel aus Leonberg.

Der Engelbergturm, der ursprünglich als Wasserturm für die damaligen Anwohner erbaut wurde, krönt seit 1928 die Stadtmarkung. Zehn Jahre später blieb auch Leonberg nicht vom Nationalsozialismus verschont. Auf die dunklen Spuren dieser Zeit kann man sich - unweit vom schönen Aussichtsturm - ebenfalls begeben.

Denn das Gelände des alten Engelbergtunnels ist Teil des "Weges der Erinnerung", der seit 1999 an den wichtigsten Schauplätzen der Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg vorbeiführt. Gerade noch in den luftigen Höhen des Engelberges, landet man an der KZ-Gedenkstätte vor dem stillgelegten Autobahntunnel unsanft auf dem blutigen Boden geschichtlicher Tatsachen.

In der letzten Kriegsphase, den Jahren 1944 und 1945, befand sich in den 300 Meter langen Tunnelröhren die Produktionstätte der Messerschmitt AG. Betonschleusen an den vier Enden der Tunnelstücke sollten die Fabrikationsstätte vor feindlichen Luftangriffen schützen. Eine Zwischendecke vergrößerte zusätzlich die Produktionsfläche. In den Röhren mussten KZ-Häftlinge des Konzentrationslagers schuften, das sich in der Leonberger Seestraße befand. Weit mehr als 3000 Häftlinge wurden in nur wenigen Monaten zum Kriegsende durch jenes Außenlager des KZ Natzweiler im Elsass geschleust. Sie sollten mithelfen, die "Wunderwaffe" für den "Endsieg" zu bauen: Während im Tunnel Tragflächen für das Düsenflugzeug Messerschmitt 262 gepresst wurden, starben Hunderte von Häftlingen, von knapp 400 ist der Tod unterm Engelberg dokumentiert - sie wurden zum Teil in einem Massengrab am benachbarten Blosenberg verscharrt - heute erinnert dort eine Gedenkstätte an das Leid.

Seit dem 8. Mai 2005, 60 Jahre nach der Kapitulation Deutschlands, steht auf dem alten Tunnelgelände eine 25 Meter lange Namenswand, bestehend aus 15 Stahlplatten. Der aus Rumänien stammende Künstler Johannes Kares kreierte das wirkungsstarke Kunstwerk, das den damals zu Nummern gewordenen Menschen symbolisch ihre Identität zurückgeben möchte.


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