Zu Fuß auf den Spuren der Vergangenheit

von Stefan Bolz
Friedensmarsch zur KZ-Gedenkstätte
Leonberger Kreiszeitung, 8. Mai 2008

Renningen/Leonberg. So etwas hat es noch nie gegeben: Rund 700 Schüler, Lehrer und Eltern sind gestern vom Renninger Gymnasium zu Fuß zur Leonberger KZ-Gedenkstätte gezogen. Dort gedachten sie in einer Feierstunde der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Das strahlende Frühsommerwetter mag eigentlich nicht recht zu dem ernsten Anlass passen. Eher sieht es wie ein Spaziergang aus, als die Renninger Gymnasiasten am Morgen über den Längenbühl und die alte Trasse der B 295 nach Leonberg ziehen.

Allerdings ist es ein Spaziergang mit ziemlich vielen Beteiligten: Die komplette Schule ist aufgebrochen, mit Eltern, Lehrern und zahlreichen Begleitern. Die Idee zu dem "Friedensmarsch" haben Schüler der Oberstufe im vergangenen Jahr von ihrem Italienaustausch mitgebracht. Dort waren sie mit der ganzen Schule von Perugia nach Assisi gewandert. "Besonders das gemeinsame Unterwegssein hat unsere Schüler beeindruckt", erinnert sich der Geschichtslehrer Wolfgang Rödl.

Auch der Weg von Renningen nach Leonberg wird im Laufe des Vormittags zu etwas Besonderem. "Das ist schon was anderes, als mit dem klimatisierten Bus da hinzufahren und sein Besuchsprogramm abzuleisten", sagt einer der Schüler und tupft sich den Schweiß von der Stirn. Wie alle hat auch er sich in den Wochen zuvor mit der Geschichte des Leonberger Konzentrationslagers beschäftigt. Außerdem hat eine von der Geschichtslehrerin Marie-Christine Metzger vorbereitete Ausstellung im Schulfoyer viele Fragen beantwortet.

Vor Leonberg haben die Organisatoren eine Station aufgebaut, wo es für jeden Schüler einen Apfel und eine Brezel gibt. "Die Äpfel stehen für die Früchte, welche manche Leonberger den KZ-Häftlingen heimlich zugesteckt haben", erklärt Wolfgang Rödl den Hintergrund. Langsam schlängelt sich der lange Zug am Leobad vorbei, die alte Autobahntrasse hinauf. Vor dem Tunnelportal begrüßt Eberhard Röhm, der Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative, die Renninger Schüler. Der Pfarrer im Ruhestand hat die Zeit des Zweiten Weltkrieges noch miterlebt.

"Der Krieg ist etwas Grausames, Unmenschliches", betont Röhm und erzählt von den sogenannten Wunderwaffen, die 1944 noch den Sieg bringen sollten. Für diesen Traum ließen in den Leonberger Tunnelröhren Hunderte Häftlinge ihr Leben. "Diese Menschen wurden zu Nummern gemacht, die nichts mehr wert sind", erklärt Röhm den Sinn der Namenswand, die seit 2005 vor dem Eingang der Weströhre an die Häftlinge erinnert. Denn die Wand soll ihnen wieder ihren Namen und damit auch ein Stück ihrer Würde zurückgeben.

Im Anschluss geben die Gymnasiasten den Opfern von damals eine Stimme. Begleitet von klassischer Musik, lesen sie aus den Beschreibungen der Überlebenden vor. Sie berichten von jungen Männern in ihrem Alter, die bei ihrer Befreiung Blut spuckten oder nur noch 37 Kilo wogen. Sie erzählen aber auch von den wenigen Mutigen, die bei Kriegsende einen Gefangenen versteckt haben und ihm so das Leben retteten. Die Moderation übernimmt dabei der 17-jährige Kian Jazdi, der auch die Texte geschrieben und die Musik ausgesucht hat.


Aus 24 Ländern kamen die Opfer damals. Stellvertretend stellen sich 24 Schüler vor ihre Mitschüler, die fast alle entweder aus diesen Ländern stammen oder zumindest Verwandte dort haben. Den Höhepunkt der kurzen Feierstunde bildet eine Schweigeminute, während der die Schüler symbolträchtig weiße Rosen an der rostbraunen Namenswand befestigen.

Im Anschluss stehen viele noch eine Weile vor dem dunkel-drohend wirkenden Tunneleingang. "Es ist schon eine komplett andere Atmosphäre hier, auch weil wir Schüler das Programm gestaltet haben", fassen Tobias Winkler und Christoph Rothengatter die Stimmung zusammen. Dann gehen sie mit ihren Mitschülern zu den bereitstehenden Bussen. Über ihren Köpfen brummt ein großes Militärflugzeug vorbei. Es zieht nachdenkliche Blicke auf sich.


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