Nachruf auf Claude Brignon (11.02.1926 - 17.03.2009)

Claude Brignon ist tot. Er starb am vergangenen Dienstag, 17. März. Beate und Pitt Adler und ich haben am Donnerstag an der Totenmesse und Trauerfeier in der Kirche von Senones – le Saulcy in den Vogesen teilgenommen und haben im Gedenken an Claude der Familie Blumen und die Grüße unserer Gedenkstätteninitiative in Leonberg überbracht. Pitt Adler hat in bewegenden Worten vor einer großen Trauerversammlung unsere Verbundenheit mit Claude Brignon beschrieben, der als erster französischer Deportierter nach Leonberg gekommen ist und uns die Hand zur Versöhnung gereicht hat. 1959 hatte er zum ersten Mal nach einer langen Zeit des Wartens bewusst wieder den Boden von Leonberg betreten.
Renate Stäbler hat im neuen Buch der KZ-Gedenkstätteninitiative („Aus vielen Ländern Europas – Häftlinge des Konzentrationslagers Leonberg“), das am kommenden Donnerstag in der Stadtbibliothek vorgestellt wird, das Leben von Claude Brignon nachgezeichnet. Am 4. Oktober 1944, als Claude Brignon mit dem stellvertretenden Resistance-Führer der Gegend um Senones unterwegs war, wurde er von den Deutschen verhaftet und mit einer Pistole im Rücken zu seinem elterlichen Haus gebracht. Nicht nur er selbst, sondern seine ganze Familie war am Widerstand beteiligt. Die Eltern hatten einige Zeit lang geflohene alliierte Kriegsgefangene in ihrem Haus versteckt und Claude selbst hatte zusammen mit andern Jugendlichen das Victory-Zeichen an die Wände gemalt. Da die Durchsuchung des elterlichen Hauses ohne Erfolg blieb, wurde Claude Brignon in Handfesseln in das Hauptquartier der Gestapo gebracht und gefoltert, um – allerdings vergeblich - Geständnisse aus ihm herauszupressen. Dort traf er auch auf seine Schwester Collette. Es erfolgte seine Verlegung zum ehemaligen Kloster in Senones, wo eine größere Zahl von Männern aus der Gegend bereits in Haft war. Man brachte sie alle in das Gestapolager nach Schirmeck und einen Teil weiter in das KZ Dachau. Von dort kam Claude Brignon in einem Häftlingstransport mit 200 andern Männern am 9. November 1944 nach Leonberg. Bald war er schwer krankt. Er litt an einer Lungenentzündung und bekam Tuberkulose, von der er sich nie mehr richtig erholt hat. Im Dezember 1944 musste Claude Brignon nach Dachau zurück verlegt werden. Dank der Hilfe eines Häftlingsarztes namens David, nach dem er später einen seiner Söhne nannte, hat er überlebt. Als das KZ Dachau am 29. April 1945 befreit wurde, lag Claude Brignon bewusstlos danieder und erwachte erst nach der Befreiung durch die Amerikaner.
Die Rückkehr an den Ort, an dem seine Gesundheit zerstört wurde, war Teil seines Bemühens, den Hass gegen die Deutschen zu überwinden und sich das Leben zurückzuerobern. Es war für ihn „Therapie“, wie er bei einer seiner ersten Begegnung in Leonberg uns wissen ließ.
Wenn Claude Brignon hierher in unsere Stadt kam, machte er stets als erstes Halt vor dem Tunnel, wo er lange schweigend ausharrte, um sich an die für ihn schweren Tage zu erinnern. So war er bereit, vor allem auch vor jungen Menschen Zeugnis abzulegen: Im Juni 1998, als er als einziger Vertreter der ehemaligen KZ-Häftlinge Gast des Samariterstifts war aus Anlass der Errichtung des KZ-Gedenksteins inmitten des ehemaligen Lagergeländes; am Volkstrauertag 1999 auf besondere Einladung der Stadt Leonberg - am Tag zuvor sprach er vor einer großen Versammlung im Albert-Schweitzer-Gymnasiums. Es folgten Besuche im Juni und Oktober 2001 und schließlich eine unvergessliche Begegnung mit Leonberger Schülerinnen und Schülern, die er im Sommer 2003 in seiner Heimatstadt Senones eingeladen hatte, bei der er uns durch das „Tal der Tränen“ in den Vogesen führte. Wir fuhren die Stationen der Verfolgung, der Folter und der Verhaftung vieler Resistance- und Landsleute ab, von denen die Mehrzahl nicht wieder aus deutschen KZs zurückgekommen sind. Der Name von Claude Brignon ist wie der vieler seiner Freunde eingegraben in der Namenswand vor dem Engelbergtunnel. Die Erinnerung an diesen gütigen Menschen und sein Leben wollen wir weitergeben als ein Zeichen der Hoffnung, dass selbst über diesen finsteren Tagen die Sonne die Wolken durchbricht, wie wir es symbolisch am Ende der Trauerfeier am letzten Donnerstag, 19.3.2009, in le Saulcy / Senones erlebt haben.
Eberhard Röhm


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