Interview mit Roberto Goruppi

Roberto Goruppi, geb. 1959, ist Sohn von Riccardo Goruppi und Enkel von Edoardo Goruppi, beide ehemalige Häftlinge im KZ-Leonberg. Edoardo Goruppi starb im Alter von 45 Jahren in Leonberg. Roberto Goruppi lebt mit seiner Familie in Villa Opicina bei Triest, in der Nähe seines Vaters. Bis zu seinem Ruhestand war er verantwortlich für die Instandhaltung der Tram, der Straßenbahn von Opicina nach Triest. Zeit seines Lebens beschäftigte er sich mit dem Schicksal seines Vaters als ehemaligem KZ-Häftling- Er begleitete ihn auf dessen Reisen zu den KZ-Gedenkstätten in Dachau und Leonberg und den diversen Interviews. Ganz wichtig ist ihm, die Erinnerung an diese Vergangenheit aufrechtzuerhalten. Wir führten das Gespräch bei ihm zuhause mithilfe einer Übersetzerin. 

Im Gegensatz zu allen anderen bisher interviewten Nachkommen, ist das Besondere bei Roberto Goruppi, dass er schon seit seiner Kindheit mit dem Häftlingsschicksal von Vater und Großvater vertraut war. So wusste er bereits mit 10 Jahren von der Geschichte der beiden, da er auf kindgerechte Art und Weise von seinem Vater Riccardo vermittelt bekam, was Konzentrationslager waren. Der Vater habe so erzählt, dass man es verstehen konnte, ohne dass er aber die Familie mit seinem Leid belastet hätte. So erklärt es sich für ihn, dass ihn das Thema seitdem sehr interessierte, zumal auch sein Großvater im KZ Leonberg umgekommen war.

Mit 14/15 Jahren war dann er zum ersten Mal mit seinem Vater in Dachau. Es kam ihm dort alles groß und seltsam vor, und er konnte sich nicht wirklich ausmalen, was in dem KZ alles passiert war. Aber die Erzählungen seines Vaters während des Rundgangs führten ihm das Ganze schließlich doch sehr realistisch vor Augen .   

Bei dem einen Besuch aber war es nicht geblieben. Unzählige Male besuchten sie Dachau und später auch Leonberg. Jedes Mal aber, so schildert es Roberto, sei es belastend und traurig für ihn gewesen, und schwierig zu akzeptieren und zu verstehen. Aber dennoch empfand er ein solchen Lagerbesuch als große Hilfe dabei, das Schicksal seines Vaters nachzuvollziehen.

Doch nicht nur innerhalb der Familie wurde über das Thema gesprochen worden sondern auch mit Leuten außerhalb, und auch mit solchen, die die Deportationen hartnäckig leugnen. Roberto spricht mit ihnen immer in der Hoffnung,  sie mit dadurch eines Besseren zu belehren.

Wenn er zurückdenkt, so kommt ihm immer wieder zu Bewusstsein, wie schwer es ihm als Kind gefallen war, den Vater direkt zu fragen. Viele Dinge über ihn hatte er daher nur durch Interviews und Berichte erfahren. Heute kennen inzwischen auch viele seiner Freunde die Geschichte seiner Familie. Diese Freunde hätten zum Glück einfach viel gefragt und hätten sie auch mit nach Deutschland begleiten wollen. Im Großen und Ganzen aber bleibt die Sache innerhalb der Familie. „Es ist eine Sache, die uns gehört, eine Familienangelegenheit.“

Auf seine Schulzeit blickt Roberto mit gemischten Gefühlen zurück. Mit einem Geschichtslehrer, der Faschist war und die Existenz von KZs geleugnet hätte, stritt er ständig rum und wurde dafür gemobbt. Aber er konnte dagegenhalten, weil er die Wahrheit zuhause mitbekommen hatte.

Solche Erfahrungen waren es schließlich auch, die ihn dazu brachten, dieses Wissen an seine Kinder weiterzugeben, damit es in Erinnerung bleibt – aus Respekt gegenüber seinem Vater und Großvater.

Sie sprachen daher frühzeitig mit den Töchtern und erzählten ihnen, was damals passiert war. Mit 7 bzw. 10 Jahren nahm man sie dann das erste Mal mit nach Deutschland. Auch waren sie mehrmals dabei, als der Großvater vor Schulklassen sprach, woraufhin sie ihm dann noch viele weitere Fragen stellten. Die Mädchen kennen also die ganze Geschichte, und er glaubt auch, dass sie heute mit ihren Freunden darüber reden. Dass die jüngere Tochter Irina  sogar alleine mit dem Gedenkzug nach Auschwitz fuhr, sieht Roberto als Konsequenz ihres Umgangs mit dem Wissen um das Schicksal des Großvaters. Nach ihrer Rückkehr sei sie positiv verändert gewesen, so wie die meisten Jugendlichen verändert von Auschwitz zurückkämen, weil ihnen bewusst geworden sei, was dort passierte. Für ihn ist es ganz klar ein Unterschied, ob man etwas in Büchern liest oder selber vor Ort war.

Und seine Frau Damiana. Wie steht sie zu alledem? Als sie ihren späteren Ehemann kennenlernte, erfuhr sie bald vom Schicksal seines Vaters und Großvaters und zeigte von Anfang an den größten Respekt für das Leid seiner Familie.

Was Roberto sehr bedauert, ist, wie das Thema heute in der Schule behandelt wird –

nämlich nur noch als eine Art Zusammenfassung. So werde z.B. einen Monat lang über den Zweiten Weltkrieg gesprochen und dann komme gleich das nächste Thema dran. Ihn betrübt sehr, dass die slowenisch-sprachigen Schulen so wenig in dieser Richtung machen und kaum Wert darauf legen zu vermitteln, was mit all den Toten passierte, nämlich all denjenigen, die ihr Leben u.a. dafür gaben, weil sie sich für den Erhalt der slowenischen Sprache einsetzten. (Anm. früher gab es in Italien das Verbot, Slowenisch zu sprechen). Die Schulen sollten seiner Meinung nach den Kämpfern mehr Respekt zollen und die Geschichte ausführlicher erzählen, denn „Geschichte wiederholt sich und man muss sehr vorsichtig sein“. Ihn frustriert, dass die slowenischen Schulen sich ihrer eigenen geschichtlichen Bedeutung nicht bewusst sind, sondern gleichgültig oder interesselos. Er weist sie immer wieder darauf hin, dass sie auch den vielen Toten danken sollten, die in den verschiedenen KZs den Tod fanden. Denn ohne diese Menschen und deren mutiges Eintreten für die Interessen der Slowenen, würden diese Schulen heute nicht existieren und die Lehrer dort nicht unterrichten können.

Auch bemängelt er das Fehlen eines einheitlichen Tages des Gedenkens an die Opfer des Faschismus und die Tatsache, dass es keinerlei Diskussion über das ganze Thema gibt. So gesehen hätten ihm die Auseinandersetzungen mit seinem faschistischen Lehrer mehr Genugtuung gegeben als z.B. die laue Einstellung des Direktors an der ehemaligen Schule seiner Tochter. Dieses Verhalten sieht er aber in ganzen Region weit verbreitet. Das politisch eher rechte Klima in Triest ist seiner Meinung nach schuld daran, dass die Erinnerung lieber außen vor bleibt.  Im Rest Italiens gebe es mehr Interesse. Deswegen müsse man speziell in Triest aktive Erinnerungsarbeit leisten.

 Zu Deutschland und den Deutschen hatte er früher ein eher reserviertes Verhältnis. Er hatte zwar Deutsch gelernt, aber ohne positive innere Einstellung. Hass auf Deutschland verspürte er nicht, aber er ärgerte sich über die Deutschen, wenn er z.B. nach Kroatien in den Urlaub fuhr und feststellen musste, dass die Deutschen immer die bevorzugten Touristen waren und die Slowenen die Touristen zweiter Klasse. Für ihn als Jugendlichen waren früher alle Deutschen gleich.  Bei den ersten Besuchen in Leonberg z.B. fuhren sie nur kurz zum Grab des Großvaters, legten Blumen ab und dann ging es wieder zurück. „In Leonberg tranken wir nicht einmal einen Kaffee.“ Erst später, als es dann die KZ-Gedenkstätteninitiative gab, habe er seine Meinung geändert, z.B. als er erfuhr, dass auch viele Deutsche vernichtet worden waren. Er habe dann in Leonberg fantastische Menschen getroffen.

Ganz im Gegensatz zu Italien, wo es schwer sei solche Leute wie die von der KZ-Gedenkstätte zu treffen. Das Urteil über seine Heimatland ist hart: „In Italien machen viele Leute nur etwas, wenn sie selber einen Vorteil daraus ziehen können.“

In diesem Zusammenhang sieht er auch die mangelnde Aufarbeitung der Partisanengeschichte in Slowenien und Kroatien. Es habe z.B. Partisanen gegeben, die nicht nur gegen sondern auch für Deutschland gekämpft hätten. „Aber im Unterricht wird das alles in einen Topf geworfen“.

So wie ihm klar ist, warum sein Vater damals in den Widerstand gegangen war, so möchte er auch nachvollziehen, warum Menschen zu Nazis wurden. Gerne würde er mal einen Nazi oder dessen Nachkommen treffen, um zu verstehen, weshalb ein intelligenter Mensch solch eine Geisteshaltung haben konnte, warum er sich dafür entschieden hatte, anderen Menschen das Leben zu nehmen. „ Jeder ist manipulierbar. Aber es waren doch studierte tüchtige Leute, Ärzte, Ingenieure, keine Analphabeten oder kranke Geister“.

Roberto betont mehrfach, wie wichtig es ihm ist, über Geschichte zu sprechen, ob gut oder ob schlecht. „Denn auch aus den schlimmsten Geschichten zieht man viele Lehren, die schließlich die Grundlage des Lebens bilden. Über die guten Sachen spricht man sowieso, aber wenn die Sachen schlecht laufen, versuchen alle sie nicht zu erwähnen.“

Eine seiner Grundsätze lautet daher:  nie verleugnen, aus welcher Familie man kommt. Sonst wird die Erinnerung vergessen. Er würde sich dafür schämen, wenn er vergäße, was seiner Familie geschehen sei. Denn es seien sein Vater, sein Großvater und alle die gewesen, die ihr Leben gegeben hätten, um zu ermöglichen, dass wir heute in dieser Welt leben und ohne Probleme frei sprechen könnten. Das müsse unbedingt weitergegeben werden. Das sei seine Rolle als Vermittler der Zeitzeugen-Berichte seines Vaters. Damit wolle er auch nach dem Tod seines Vaters weitermachen und er hofft ganz stark, dass auch seine Töchter ihm darin gleichtäten. 

Gerne würde er auch die Nachkommen anderer ehemalige Häftlinge treffen. So wie beim Treffen in Leonberg vor einigen Jahren, wo sich alle ehemaligen Deportierten wiedersahen. Das empfand er als eine emotional sehr einzigartige und intensive Sache. Sein Vater hatte damals einige der Überlebenden getroffen, mit denen er bis heute noch hin und wieder etwas Kontakt hat, allerdings mehr auf regionaler Ebene (Anm. hauptsächlich mit den Slowenen).

Heutzutage kommen Roberto und seine Familie gern nach Leonberg und seien sogar etwas traurig, wenn sie wieder weg müssten. Leonberg ist ihnen inzwischen sehr vertraut, denn sie hätten Menschen kennengelernt, die ihnen wie Freunde seien. Sowohl von der Initiative als auch von außerhalb. „Sie machen eine Arbeit, die bei uns, denke ich, kaum jemand geschafft hätte.“ (Anm. noch mehr Lobeshymnen auf die Ini s. Original-Interview).

Das Besondere an unserer Arbeit, so vermutet er, sei auch, dass die Leute nicht parteipolitisch dächten sondern dass es in erster Linie um die Sache gehe. In Italien jedoch gehe es den Leuten immer zuerst um ihre parteipolitische Linie und erst an zweiter Stelle um die Sache.

Die KZ-Gedenkstätte hätte in Leonberg eine große Macht, weil sie durch die Einbeziehung von Jugendlichen deren Einstellung zum Thema positiv beeinflussen könne. So werde im Kleinen auch Großes bewirkt. Es wäre gut, wenn man noch mehr Jugendliche erreichen würde, was aber sicher nicht einfach sei, genauso wie bei ihnen auch.

„In den wenigen Jahren haben Sie eine Sache geschaffen, für die ich Ihnen für immer dankbar sein werde....denn wenn ich nach Leonberg fahre und die Namen meines Vaters und Großvaters sehe, hat das für mich enorme Bedeutung.“

Und auch der Vater sei in Deutschland ganz anders. Zuhause erzähle er meistens nur wenig , aber wenn vor Ort sei, erzähle er alles und man könne ihn auch alles fragen.

Nach Leonberg zu fahren sei also „keine Reise sondern eine Pilgerfahrt. Das ist ein großer Unterschied. Aber wenn wir nach Hause kommen, brauchen wir zwei Tage, um wieder in die Normalität zurückzukehren“.


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