Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden (Eberhard Röhm) bei der Mitgliederversammlung am 21. März 2002 im Samariterstift Leonberg

Vorbemerkung: Bei der Mitgliederversammlung wurde der bisherige Vorstand in seiner Arbeit bestätigt und die seitherigen Mitglieder wiedergewählt, zusätzlich Holger Korsten als weiterer Beisitzer.

Wir blicken auf ein prall gefülltes Jahr zurück seit der Wahl des jetzigen Vorstands am 15. März letzten Jahres: Zwei Begegnungen mit ehemaligen Häftlingen, der Abschluss des Buches der Geschichtswerkstatt, die Übergabe des Wegs der Erinnerung an die Öffentlichkeit. Ein Raum im Stadtmuseum ist mit unserer Hilfe der KZ-Geschichte gewidmet und eingerichtet worden. Das alles hat sich in den letzten 12 Monaten in unserer Stadt ereignet. Was manche geahnt haben, ist ohne besonderes Zutun von uns eingetreten, die Schulen erwarten von uns Führungen in erfreulichem, fast beängstigendem Umfang. Völlig überraschend ist ein Filmprojekt angelaufen. Wir eilten in diesem Jahr von Höhepunkt zu Höhepunkt, sodass zwischendrin auch Erschöpfung sich zeigen musste.
Getragen wurde das Ganze von einem aktiven Vorstand und tatkräftigen Unterstützern. Bei den eigentlichen Höhepunkten zeigte sich, wie breit die Mitglieder zu mobilisieren waren. Glänzend war in meinen Augen die Kooperation mit der Stadt Leonberg, die nicht nur das Buch finanziert hat, sondern auch in großzügigster Weise die gesamten Kosten für die Oktobereinladung von etwa 40 Gästen übernommen hat.
Die Kirchen ziehen mit. Nach der katholischen Kirche haben nun auch die evangelische Blosenbergkirchengemeinde und die Stadtkirchengemeinde samt der Gartenstadtkirchengemeinde beschlossen, bei uns korporativ Mitglied zu werden. Ähnlich wie im Samariterstift haben wir auch bei der Blosenbergkirchengemeinde ganz selbstverständliches Hausrecht. Insgesamt, nach zwei Jahren, weiß die Öffentlichkeit unserer Stadt wieder, dass es in Leonberg einmal ein KZ gab.

Wenn ich jetzt einige Bereiche unserer Aktivitäten im letzten Jahr herausgreife, so tue ich es streng unter der Zukunftsperspektive: Was könnte und sollte in welcher Weise fortgesetzt werden? Dabei kann ich Euch auch über Internas informieren, die in den knappen Rundbriefen keinen Platz gefunden haben.

1. Begegnung mit den ehemaligen Häftlingen

Vorbereitet durch Mitglieder der Geschichtswerkstatt kam es im Juli zu unvergesslichen Begegnungen mit acht ehemaligen Häftlingen sowie der Witwe eines ehemaligen Häftlings und im Oktober zur Begegnung mit 16 ehemaligen KZ-Häftlingen bzw. Gestapohäftlingen und Zwangsarbeitern sowie den beiden Söhnen Neufeld. Hinzuzuzählen sind die mitgereisten Ehefrauen und die anderen Angehörigen. Es würde den Abend füllen, wenn ich jetzt noch einmal alle aufzählen würde, die mitgeholfen haben und denen ich eigentlich in einem Rechenschaftsbericht einzeln danken müsste, den Gastgebern, den Übersetzern, den Schreibern, den Musikerinnen und Fahrern, den Kindern, die Kirschzweige an den Weg zum Tunnel gestellt haben und ein Grußwort in der Heimatsprache auf die Gehwege schrieben. Ich will das nicht tun, obwohl ich mir bewusst bin, einige sind öffentlich genannt worden und immer wieder genannt worden wie der Vorsitzende und die stellvertretende Vorsitzende. Andere, die im Hintergrund gearbeitet haben z.B. in der Küche beim Abendessen im Haus der Begegnung oder als Kassier, die blieben im Hintergrund, obwohl ohne sie nichts gelaufen wäre. Also allen, allen Dankeschön. Und nun zur Zukunft.

Der Vorstand war der Meinung, dass im kurzen Abstand von einem Jahr keine Wiederholung des Einladungsprogramms erfolgen kann und soll. Wir rechnen aber damit, dass es in diesem Jahr zu Gegeneinladungen kommt, also Leonberger zu den ehemaligen Häftlingen fahren werden (vgl. Tagesordnungspunkt 4). Ich habe den dringenden Wunsch, dass Erinnerungen, die ehemalige Häftlinge über ihre Lagerzeit in Leonberg in Einzelgesprächen geäußert haben, als Gedächtnisprotokolle schriftlich festgehalten werden, sodass wir es allen zur Verfügung stellen können. Das ist bisher leider nicht erfolgt. So habe ich persönlich z.B. überhaupt keine Kenntnis vom Schicksal der drei Franzosen Michel Didier, Alfred Favreu und Michel Fouchécourt, obwohl diese, die uns bisher völlig unbekannt waren, jeweils zwei Stunden in Oberstufenklassen des Albert-Schweitzer-Gymnasiums berichtet haben.
Wir hatten der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat gegenüber die Bitte geäußert und die GABL (Grüne-Alternative-Bürgerliste) hat einen entsprechenden Antrag gestellt, im Haushaltsplan 2002 wieder Gelder für Besuche einzuplanen von oder zu ehemaligen Häftlingen. Wegen der angespannten Haushaltslage wurde dem für dieses Jahr nicht entsprochen.

2. Weg der Erinnerung – pädagogische Arbeit

Der „Weg der Erinnerung“ hat bereits einschneidende Folgen für uns gebracht und zwar in Gestalt von Führungen, insbesondere mit Schulklassen. Wir haben – soweit mir bekannt ist - im Berichtsjahr 15 Gruppenführungen durchgeführt. Zwei Führungen hat Renate Stäbler im Rahmen des vhs-Programms angeboten. Sechs davon waren Führungen für Schulklassen innerhalb der Projektwoche des Berufschulzentrums Anfang Februar. Daran beteiligt waren Heinz Klingel, Klaus Beer, Wolfgang Schiele, Holger Korsten und ich. Wir haben zur Vorbereitung ein erstes Lotsentreffen durchgeführt, um uns über die Art der Führungen auszutauschen. Renate Stäbler hat mit Frau Gramm eine persönliche Absprache getroffen, nach der sie im Rahmen der allgemeinen Stadtführungen im Mai, Juli und September dieses Jahres je eine Samstagnachmittagsführung anbietet.
Ich denke, es wird Aufgabe des neuen Vorstands sein, die organisatorischen Konsequenzen dieser erfreulichen Entwicklung zu bedenken. Durch das Buch und die Unterrichtsbesuche im Oktober mit ehemaligen Häftlingen in zwölf Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialklassen sind Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Schülerinnen und Schüler auf uns aufmerksam geworden. Wir haben praktisch den Status einer Kreis-KZ-Gedenkstätte erreicht und könnten eine Vereinbarung mit dem Staatlichen Schulamt und den Schulleitern treffen. Die Frage ist, in wie weit wir die Kraft haben, das zu schultern. Ich verspreche mir da auch viel vom Erfahrungsaustausch mit andern Gedenkstätten und mit Leonberger Lehrerinnen und Lehrern.

3. Filmprojekt

Der Vorstand hat kurz vor dem Besuch der ehemaligen Häftlinge im Oktober beschlossen, den Filmemacher Vaclav Reischl dafür zu gewinnen, einen Film über die Begegnung mit ehemaligen Häftlingen zu drehen. Herr Reischl hat sich bei der letzten Mitgliederversammlung uns vorgestellt und er hat im Oktober während der Begegnungstage ausführlich gefilmt. Wir haben inzwischen mit ihm einen Vertrag über einen halbstündigen Film abgeschlossen. Herr Reischl machte zur Bedingung, was ganz in unserem Sinne ist, dass der Film, für den er die alleinige künstlerische Verantwortung trägt, mit uns zusammen hergestellt wird. Wir haben darum vertraglich festgelegt, dass die Initiative ihm gegenüber von Volger Kucher im engeren Sinn und von einer Filmarbeitsgruppe im weiteren Sinne vertreten wird und mit ihm ständigen Kontakt hält. Der Filmarbeitsgruppe gehören Volger Kucher, Ingrid Bauz und ich an. Herr Reischl beabsichtigt, noch nach Israel, nach Frankreich und nach Tschechien zu reisen, um weitere Gesprächsaufnahmen vorzunehmen.
Die Kosten, die die Ini aufbringen muss für den Erwerb einer Master-Kopie, d.h. einer Rohkopie, von der wir dann – auf unsere Kosten - Videos herstellen können, sind gedeckt durch Großspenden von vier Sponsoren (Fa. Herma, Wüstenrot-Stiftung, Paul-Lechler-Stiftung, Landeszentrale für politische Bildung). Es sind auch schon Spenden von Mitgliedern für den Film eingegangen, die wir dringend brauchen werden und zwar für die Herstellung der Videokopien, eine Begleitbroschüre und möglicherweise noch für weitere Kurzfilme mit Einzelporträts, die zusätzlich aus dem vorhandenen Rohmaterial gewonnen werden können, wie sich bereits abzeichnet. Mit der Fertigstellung des Films rechnen wir bis zum Herbst.

4. Vortragsveranstaltungen

Vortragsveranstaltungen gab es nur eine im Berichtsjahr, nämlich den sehr gut besuchten Lichtbilder-Vortrag im Stadtmuseum von Fritz Endemann über Antijudaismus in der christlichen Kunst am Holocaust-Gedenktag, Sonntag, 27. Januar. Ich kann mir vorstellen, dass daraus eine Tradition entsteht.
Für die Statistik könnte man noch drei weitere vortragsartige Veranstaltungen verrechnen: Die Vorstellung unseres Buches am 23. Oktober in der Steinturnhalle, die Vorstellung des „Wegs der Erinnerung“ durch Renate Stäbler am folgenden Tag und ein dreistündiger Marathon vor mehr als hundert Schülern des Berufschulzentrums am 6. Februar, den Wolfgang Schiele und ich hinter uns gebracht haben.

5. Kontakte zu anderen Initiativen

Wir haben am Samstag, 12. Mai, einen Besuch bei der Gedenkstätte Schwäbisch Hall-Hessental durchgeführt, bei der wir wichtige Erfahrungen austauschen konnten. Wir waren 13 Personen. Leider etwas wenig. Ich wünsche und hoffe, dass wir beim Besuch nach Neckarelz am 27. April etwas mehr werden.
Am Sonntag 7. April nachmittags 16 Uhr wird die KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz eröffnet.
Vom 27. bis 30. April letzten Jahres fand das Landestreffen der Gedenkstätteninitiativen in Rastatt statt, an dem Wolfgang Schiele und ich teilgenommen haben. Dieses Jahr findet das Treffen in Schwäbisch Hall statt vom 12. bis 14. April.
Auf Landesebene hat sich eine Arbeitsgemeinschaft der Natzweiler Außenlager-Gedenkstätten gebildet. Deren Hauptaufgabe ist derzeit, das Gespräch mit den Gestaltern einer geplanten neuen Gedenkstätte in Natzweiler zu führen. Am 14. September gab es ein Treffen mit dem verantwortlichen Beamten in Paris, Vittori. Die letzte Sitzung fand am 27. Februar im Landtag statt, an der Holger Korsten und ich teilgenommen haben. Der in Aussicht genommene Direktor des Natzweiler Museums, Olivier Lalieau, hat uns die Pläne erläutert und mit uns vereinbart, dass die einzelnen Außenlager, also auch Leonberg, dort dargestellt werden in Gestalt von Fotos, kleinen Exponaten und interaktiven Stelen für abrufbare Hör- und Filmbeiträge. Letztere müssen wir liefern. Außerdem werden unsere gedruckten Informationen in einer Buchhandlung angeboten.
Am Sonntag, 23. Juni 2002, findet in Natzweiler eine Art Grundsteinlegung für die neu zu gestaltende Gedenkstätte statt, zu der auch Vertreter der Gedenkstätten der KZ-Außenlager in Baden-Württemberg eingeladen sind. Auch Leonberg wird dabei vertreten sein.

6. Vorstandsarbeit

Der Vorstand hat 6 Mal sich zur Beratung getroffen im Berichtsjahr. (20.4., 5.6., 30.7., 17.9., 6.12., 18.12.2001).
Es fanden 4 Mitgliederversammlungen statt, wenn ich die am 15. März zur Wahl des Vorstands nicht mitrechne. Diese waren durch die Großereignisse dieses Jahres geprägt, dienten hauptsächlich der organisatorischen Vorbereitung. (12.5. Schw. Hall, 2.7., 30.7. Feed-Back-Runde, 11.10.2001) Mir fiel auf, dass von Oktober bis heute, also fünf Monate lang, keine Mitgliederversammlung mehr statt gefunden hat. Es gab nach der Oktober-Einladung auch keine Feed-back-Runde wie im Juli. Das war vermutlich das berühmte Loch, in das wir gefallen sind.
Wir haben sechs Rundbriefe verschickt, zuletzt an etwa 120 Adressen. (Mai, Juni, Juli, Oktober, Januar, März) Im Vorstand haben wir die Frage diskutiert, ob nicht auch ein etwas anspruchsvollerer Rundbrief gut wäre, in dem noch mehr Informationen, solche z.B. wie ich sie in diesem Bericht gebe, untergebracht werden könnten. Die Frage wurde verneint mit der Begründung fehlender Arbeitskapazität. Vielleicht hat jemand Lust, sich mit der Gestaltung eines anspruchsvolleren Rundbriefes ein Denkmal zu setzen. Auf alle Fälle möchte ich Euch bitten, uns Adressen von Interessenten zu geben, denen wir unseren Rundbrief schicken können. Das ist die billigste Werbung, die ich kenne. Wir sollten in nächster Zeit auch überlegen, in welcher Form wir über einzelne persönliche Kontakte hinaus als Ini allen ehemaligen Häftlingen Informationen über uns als Ini zukommen lassen.

7. Zukünftige Veranstaltungen und Projekte, soweit sie noch nicht erwähnt wurden

a) Eine Projektgruppe „Gestaltung im und vor dem Tunnel“ unter Leitung von Renate Stäbler ist bei der Arbeit.
b) Renate Stäbler wird im Laufe des Jahres im Rahmen des Programms „Sonntagsführungen durch die Stadt“ drei Führungen „Auf den Spuren des KZ Leonberg“ übernehmen (26.5., 14.7., 29.9.). Beginn jeweils 14.30 Uhr Seestraße neben Haus 5.
c) Es gibt die Absicht, eine Internetseite, eine homepage, für die Ini herzustellen. Erste Entwürfe liegen vor. Wer macht dabei noch mit?
d) Ein kleiner informativer Führer für den „Weg der Erinnerung“, für den Eberhard Schmalzried einen Entwurf vorgelegt hat, ist in Arbeit.
e) Die Architekturstudentin der Uni Stuttgart Elke Banabak wird im Mai ihre Diplomarbeit über den Tunnel und das Gelände vor dem Tunnel abschließen. Möglicherweise wird sie uns diese im Lauf des Jahres öffentlich vorstellen.
f) Am Sonntag, 2. Juni 2002, besucht die Ini die neu errichtete KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz. Abfahrt mit Privatwagen 13.45 Uhr auf dem Parkplatz Neues Rathaus.
g) Von 28. Oktober bis 2. November wird es eine Reise nach Auschwitz mit einem Tag Aufenthalt in Krakau geben. Kosten etwa 500 Euro je Teilnehmer. Wir übernachten in der Jugendbegegnungsstätte von Aktion Sühnezeichen in Auschwitz. Leitung: Dekan Dr. Hartmut Fritz und Eberhard Röhm. Anmeldung bei Eberhard Röhm.
h) Am Dienstag, 9. Juli 2002, zeigt das Filmforum in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätteninitiative den Film Paragraph 175, eine US-Produktion der Dokumentarfilmer und Oscar-Preisträger Rob Epstein und Jefrey Friedmann aus dem Jahr 1999. Die dem Film zugrundeliegenden Interviews mit Überlebenden des Holocaust führte der Berliner Historiker Klaus Müller.
i) Am Donnerstag, 7. November 2002, wird Klaus Beer in der Stadtbibliothek eine Lesung aus seinem Buch über seine jüdische Familie veranstalten. Wir sind dabei nicht Veranstalter, wir wollen jedoch diese Veranstaltung werbend unterstützen und in unser Veranstaltungsprogramm aufnehmen.