Rechenschaftsbericht über das Jahr 2003 des Vorsitzenden Dr. Eberhard Röhm vor der Mitgliederversammlung am 13. Januar 2004

A. Ein Jahr erfüllter Träume

Von den bisherigen fünf Jahren seit Bestehen des Vereins hat jedes Jahr seine besondere Prägung gehabt. Das Jahr 2003 – und ich beziehe mich dieses Mal exakt auf das Kalenderjahr – war ein Jahr erfüllter Träume. An fünf Höhepunkte denke ich.

1. Am 29. April die Filmpremiere „Überlebende des KZ Leonberg“ von Vaclav Reischl in Anwesenheit von Piet Schultz.
2. Vom 20. bis 22. Juni die Fahrt mit zwölf Schülerinnen und Schülern des Albert-Schweitzer-Gymnasiums nach Charmes auf Einladung der französischen ehemaligen Häftlinge und einer intensiven Begegnung mit diesen sowie mit französischen Schülern. Es war die gelungene Antwort auf eine entsprechende vage Anfrage von mir zwei Jahre zuvor.
3. Am 24. Juni die Vernissage der Ausstellung mit Bildern von Moshe Neufeld und gleichzeitig die Premiere eines zweiten Films von Vaclav Reischl über Moshe Neufeld, gekrönt mit einem Vortrag des früheren Landesrabbiners Joel Berger und in Anwesenheit ehemaliger Häftlinge, die wir eingeladen hatten.
4. Am 14. November die Präsentation eines maßstabgetreuen Modells des KZ-Lagers, das Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Gymnasien unter Anleitung ihres Lehrers Ragen Bayer hergestellt haben.
5. Am 16. November die Präsentation der neuen Broschüre „Auf den Spuren von KZ und Zwangsarbeit in Leonberg“ während der Finissage der Moshe-Neufeld-Ausstellung.

B. Die Strategie der Kooperation mit den unterschiedlichsten Partnern hat sich bewährt.

Beim Rückblick war ich überrascht, mit wie vielen unterschiedlichen Partnern wir es in diesem Jahr zu tun hatten.
- Die Stadt Leonberg vertreten durch das Stadtarchiv und das Stadtmuseum
- Das Samariterstift, das Haus der Begegnung wie die Blosenbergkirchengemeinde, wo wir überall ganz selbstverständlich Heimatrecht haben
- Die Evang. Erwachsenenbildung und die Volkshochschule, mit denen zusammen Vortragsveranstaltungen durchgeführt wurden.
- Das Filmforum, das zwei gut besuchte Filmvorführungen organisiert hat.
- Das Albert-Schweitzer-Gymnasium, das zusammen mit drei Mitgliedern der Ini die privat finanzierte Fahrt eines Leistungskurses Französisch unter Frau StDin Gerda Mendler nach Frankreich organisiert hat.
- Das Berufschulzentrum, das zum zweiten Mal zusammen mit uns die Projektwoche „Gegen das Vergessen“ organisiert hat und deren Schüler und Lehrer ein maßstabgetreues Modell des KZ Leonberg herstellten und finanzierten.
- Die Matthias-Film-Gesellschaft, die unseren Film „Überlebende“ vertreibt wie demnächst das Landesmedienzentrum, das den Film „Moshe Neufeld“ übernehmen will.

C. Grenzen wurden sichtbar – oder: nicht alle Träume wurden sofort wahr

- Die Einladung ehemaliger Häftlinge zur Ausstellungseröffnung konnte, abgesehen vom Ehepaar Neufeld und Tochter - aus Sparsamkeitsgründen - nicht offiziell von der Stadt finanziert werden, sondern musste durch uns privat erfolgen. Es besuchten uns diesmal nur Claude Brignon mit seiner Partnerin und die starke Gruppe aus Italien (u.a. mit der Großfamilie Goruppi mit Filmteam). Es war ein deutliches Signal dafür, dass uns die Zeit der Zeitzeugenbegegnungen davon läuft.
- Die Bemühungen um einen Raum für die Initiative (Wunschvorstellung: im Bereich des Samariterstifts) waren noch nicht von Erfolg gekrönt. Ich halte dies jedoch für eines der vordringlichsten Vorhaben in naher Zukunft.
- Auch der Wunsch nach einer raschen Entscheidung über den Antrag bei der Stadt auf Errichtung der Gedenkstätte wurde nicht erfüllt. Der Gemeinderat befasst sich jetzt am 27. Januar damit. Die ersten Versuche, Sponsorengelder aufzutreiben, verliefen eher enttäuschend. Darüber wird nachher Genaueres berichtet werden.

D. Mitglieder der Ini waren aktiv

Das Traumjahr war nur möglich, weil einzelne Mitglieder besonders aktiv waren. Ich will die einen und andern nennen, wenn ich auch riskiere, welche zu vergessen:
- An erster Stelle nenne ich die persönliche Betreuung einzelner ehemaliger Häftlinge während ihres Aufenthalts in Leonberg: Das Ehepaar Neufeld und Tochter hatten Ruth Tewes und Zeev Goldreich-Fernbach in ihre Obhut genommen, wie früher auch schon die israelischen Ehepaare Ary und Nojovits. Die italienischen Gäste wurden durch Brigitte und Conny Renkl, durch Irmtraud Klein sowie durch Else und Werner Ziegler betreut. Claude Brignon wurde betreut durch das Ehepaar Adler wie von Monika Mather und Renate Stäbler. Pjotr Kudrjaschow war eingeladen und versorgt durch Ursula Beutelspacher. (Pjotr Kudrjaschow ist zur Zeit wieder in Leonberg. Heute kam seine in Israel verheiratete Tochter hierher.)
- Beim Abend der Begegnung mit den angereisten ehemaligen Häftlingen und ihren Familien wurden wir aufs beste von einem bewährten Küchenteam betreut mit Else Ziegler, Irmtraud Klein, Sieglinde Müller, Frau Binder, Marei Drassdo und Heinz Klingel.
- Besonders erwähnen möchte ich die Betreuung der Angehörigen von Sergio Covacich durch Brigitte und Conny Renkl nach dessen plötzlichem Tod. Wie die meisten wohl wissen, ist Sergio Covacich aus Stuttgart beim Empfangsessen für die italienischen Gäste im Hotel Kirchner tot zusammengebrochen. Conny und Brigitte Renkl haben mit dem italienischen Konsulat verhandelt, haben die Angehörigen in Italien ausfindig gemacht und sie auch während ihres Aufenthaltes in Deutschland betreut. Sieben Ini-Mitglieder haben an der Trauerfeier in Stuttgart teilgenommen. Ich habe im Namen unseres Vereins einen Nachruf gesprochen.
- Ich nenne die getreuen Lotsen, die sich an den Führungen beteiligen und bei der Projektwoche des Berufschulzentrums und beim Bau des Lagermodells Informationen gaben: Renate Stäbler, Holger Korsten, Klaus Beer, Eberhard Schmalzried, Heinz Klingel, Wolfgang Schiele und ich.
- An der Frankreichfahrt mit den Schülerinnen und Schülern des ASG haben sich beteiligt: Ingrid Bauz, Birgit Wörner, Volger Kucher und ich.
- Linde Beer und Holger Korsten haben einen bebilderten Reader für die Sponsorenwerbung hergestellt.
- Unser jüngstes Mitglied, Ines Horn, bereitet zusammen mit zwei weiteren Schülerinnen eine Ausstellung über die Frankreichfahrt mit Fotos von Volger Kucher vor, die am 27. Januar im Albert-Schweitzer-Gymnasium eröffnet wird.
- Ganz aktuell, die Tochter von Marei Drassdo hat den Text unseres Prospektes für unsere Internetseite ins Englische übersetzt. Eine Gymnasialklasse aus Gerlingen, die ich mit ihrem Französisch- und Religionslehrer Michael Volz geführt hatte, liefert uns noch diesen Monat denselben Text für die Internetseite in französischer Sprache.
- Die Biographien von zwei Häftlingen, die in Leonberg waren, wurden in diesem Jahr entdeckt. Conny Renkl und Volger Kucher haben am 21. September Israel Offmann, Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, zu seinem Bruder Isaak Offmann interviewt. Eine junge Frau aus Dachau, Stefanie Kronenberger, hat für das Gedächtnisbuch der Kapelle in Dachau eine Kurzbiographie von Israel Hener geschrieben.
Drei Leonberger Zeitzeugen wurden interviewt von Renate Stäbler, Klaus Beer und Holger Korsten.
- Und schließlich: An der Herstellung des Films „Moshe Neufeld“ waren Volger Kucher und ich beteiligt.

E. Informationsveranstaltungen

Neben den fünf Veranstaltungen, die ich als erfüllte Träume überschrieben habe, fanden noch vier weitere Vortragsveranstaltungen statt, die wir verantwortet haben oder zu denen wir eingeladen haben: Mein Vortrag am 27. Januar im Stadtmuseum über das Holocaust-Wissen, der Vortrag von Prof. Ritscher am 23. September über die Traumatisierung der Opfer. Axel Kuhn sprach am 25. September über den Antisemitismus, Zeev Goldreich am 29. September über die Entwicklung des Staates Israel und Klaus Beer am 20. November über Erfahrungen bei Wiedergutmachungsprozessen.
Bei der Fülle an Informationsveranstaltungen wundert es nicht, dass es – abgesehen von der Mitgliederversammlung zur Wahl des Vorstands am 4. April – im Jahr 2003 keine weitere Mitgliederversammlung zu Vereinsthemen gab. (Zum Vergleich: Im Jahr 2002 gab es vier Mitgliederversammlungen mit Gelegenheit zur Information und Diskussion über Vereinsangelegenheiten.)

F. Presse und Publikationen

Ich zähle im Jahr 2003 32 Presseberichte über Aktivitäten der KZ-Gedenkstätteninitiative.
Hinzu kommen noch zwei besondere Beitrage: Einen historischen Beitrag von Renate Stäbler und Monica Mather über den „Umgang der Leonberger mit dem KZ nach 1945“ in der Beilage des Böblinger Boten „Aus Schönbuch und Gäu“, herausgegeben unter Mitwirkung des Heimatgeschichtsvereins, sowie ein bebilderter Beitrag von Joachim Baur über das KZ Leonberg in den Beiträgen zur Landeskunde von Baden-Württemberg „Momente 3-4/03“, letzterer in hervorragender Bildqualität.

G. Vorstandsarbeit

Die sieben Vorstandsmitglieder haben sich im Jahr 2003 zu zwölf Sitzungen getroffen, mehr als je zuvor (2001 waren es 6 Sitzungen, 2002 waren es 7 Sitzungen). Im Gegensatz dazu gab es zu wenig Mitgliederversammlungen.
Der Vorstand hat über seine Arbeitsfähigkeit nachgedacht und festgestellt, dass die Zahl Sieben die Obergrenze darstellen sollte. Wir bringen darum im Blick auf die heutigen Neuwahlen den Antrag ein, für das nächste Jahr den Vorstand auf sieben Mitglieder zu begrenzen. Näheres dann vor den Wahlen.
Der Vorstand hielt Außenkontakt zu andern Initiativen praktisch nur durch Teilnahme am Jahrestreffen der Gedenkstättendelegierten. Dieses findet dieses Jahr am Samstag/Sonntag 8./9. März in Ulm statt und ist dem wichtigen Thema Gedenkstättenpädagogik gewidmet.
Im Kalenderjahr 2003 konnten wir sieben neue Mitglieder begrüßen.