Rechenschaftsbericht des Vorstands der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg e.V. für das Jahr 2011 – vorgetragen bei der Mitgliederversammlung am 8. März 2012

Der Rechenschaftsbericht bezieht sich traditionell auf das vergangene Kalenderjahr. Aus gegebenem Anlass beziehen wir ausnahmsweise das Ereignis am 27. Januar dieses Jahres mit ein.

Die Arbeit der KZ-Gedenkstätteninitiative war im Jahr 2011 geprägt von zwei Schwerpunkten:
a) In der ersten Jahreshälfte bemühte die Arbeitsgruppe „Schule“ sich, das pädagogisch-didaktische Angebot bei Führungen auf dem „Weg der Erinnerung“ weiter zu entwickeln. Einen entscheidenden Anstoß dazu gab das Angebot der Schulabteilung des Regierungspräsidiums, im Samariterstift durch die Ini (Marei Drassdo, Manfred Pauschinger, Eberhard Röhm) am Montag, 18. April, eine ganztägige Fortbildungsveranstaltung über das KZ Leonberg für zwanzig Lehrer aller Schularten durchzuführen. Die schriftlichen Rückmeldungen, die bei solchen Fortbildungen üblich sind, fielen durchweg sehr positiv aus. Am 21. Januar und am 17. Juni besuchten uns – ebenfalls ganztägig - je 25 Studenten der PH Ludwigsburg Realschule/Studienfach Geschichte mit ihrem Fachleiter und Dozenten Holger Viereck, um die Gedenkstätte kennen zu lernen und mit uns didaktische Überlegungen anzustellen. Zwei Studentinnen eines dieser Seminare wählten als Thema einer Hausarbeit in der Akademischen Teilprüfung „Geschichte“ ein Teilthema aus der Geschichte des KZ Leonberg: Sabrina Tucholl: „Der Umgang der Leonberger Bevölkerung mit dem KZ in der eigenen Stadt“ und Bahar Sarikaia: „Vernichtung durch Arbeit – Die Firma Messerschmitt und ihre Beteiligung an den Verbrechen im KZ-Außenlager Leonberg“. Die beiden Studentinnen wurden jeweils von Vorstandsmitgliedern (Renate Stäbler, Holger Korsten, Eberhard Röhm) mit Material versehen und beraten. Beide Arbeiten wurden jeweils mit der Bestnote ausgezeichnet.
Im April fand am Gymnasium Rutesheim ein von Schulleiter Schwarz einberufene Fachkonferenz für die Fächer Geschichte/Gemeinschaftskunde, Religion/Ethik der Klassen 9 und den Abitursklassen statt, bei der ein Vertreter der Ini (Eberhard Röhm) die konzeptionellen Möglichkeiten der Kooperation mit der Schule vorstellen konnte. Im Grunde müsste ein solcher Meinungsaustausch an jeder Schule durchgeführt werden. Ein Ergebnis der Besprechung war, dass der Lehrer Paul Neumann in den letzten drei Tagen des Schuljahres (Projekttage) für neun interessierte Abiturienten zusammen mit Eberhard Röhm ein Projekt in unserer Gedenkstätte anbot, bei dem die Schülerinnen und Schüler sich mit der KZ-Geschichte auf ihre Weise beschäftigten und z.B. eine selbst erarbeitete Befragung unter der Leonberger Bevölkerung zum KZ Leonberg und auf dem PC eine dreidimensional rekonstruierte Darstellung des „alten Lagers“ herstellten. Eine wichtige Erkenntnis der Projekttage war, dass Schüler von heute in viel größerem Maße als ihre Lehrer gewohnt sind, sich historische Stoffe über die vielfältige Nutzung von Internet und PC-Programmen zu erschließen. Das Fehlen eines Raums mit Internetanschluss im Samariterstift wurde als Defizit empfunden.

b) In der zweiten Hälfte des Kalenderjahres beschäftigte sich die Initiative schwerpunktmäßig mit dem Rechtsradikalismus. Seit Jahren hat sich eine Arbeitsgruppe um Klaus Beer diesem Thema gewidmet. 2007 referierte der SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Braun über das Thema im Haus der Begegnung in einer Veranstaltung, die wir mitverantwortet haben. Später suchten wir Kontakt mit linken Jugendlichen, die sich im Leonberger Jugendhaus treffen und wir waren Mitveranstalter einer antifaschistischen Aktionswoche vom 14. bis 17. September. Im Rahmen dieser Woche gab es eine Führung im alten Engelbergtunnel, Vorträge von Frederic Striegler zum Thema „Rechtspopulismus“ und des freien Journalisten Robert Andreasch mit Informationen zur Neonaziszene. Um die Person von Robert Andreasch (München) entwickelte sich ein öffentlicher Streit mit der Stadt Leonberg, der sich bis in das Jahr 2012 hinzog. Die Spitze der Stadtverwaltung akzeptierte Andreasch nicht als Referenten für ein gemeinsame Informations- und Gedenkveranstaltung zum 27. Januar 2012. Wie über Presse, Fernsehen und Rundfunk ausführlich dargestellt (vgl. die Sparte „Presse“ auf unserer Internetseite), beharrte der Vorstand einstimmig auf der Einladung des genannten Referenten, dessen Vortrag dann im völlig überfüllten Blumhardtsaal der Blosenbergkirche statt fand. Das Kulturamt der Stadt lud am selben Abend zu einer Gegenveranstaltung in das Stadtmuseum ein. Man zeigte den unter der Regie von Oliver Storz hergestellten Film nach der Novelle „Brandopfer“ von Albrecht Goes.

2. Weitere Veranstaltungen im Jahr 2011

a) Zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, den wir traditionsgemäß zusammen mit dem Kulturamt im Stadtmuseum begehen, referierte am 30. Januar 2011 der holländische Pfarrer Geert Hovingh über den holländischen Widerstand und insbesondere das Schicksal des im Leonberger KZ verstorbenen Jan Wildschut.
b) Am 18. April berichtete in der Stadtbibliothek die aus Leonberg stammende Journalistin Andrea Beer über den Demjanuk-Prozess in München, den sie als Journalistin für den SWR-Rundfunk begleitete. Im Gespräch mit ihrem Vater Klaus Beer und ihrem Cousin Alexander Nolte suchten wir unter starker Einbeziehung des Publikums der Frage nachzugehen, was die Beschäftigung mit dem Prozess und damit den Holocaust-Verbrechen für unterschiedliche Altersgruppen heute bedeuten könnte.

3. Tätigkeiten von weiteren Arbeitsgruppen
a) Arbeitsgruppe Namenstafel auf dem Friedhof Seestraße (Irmtraud Klein, Holger Korsten, Renate Stäbler): Wegen der Erkrankung von Eberhard Röhm, der die von der Arbeitsgruppe zusammen gestellten Namen überprüfen sollte, musste die Realisierung des Projekts ins Jahr 2012 verschoben werden.

b) Arbeitsgruppe Bibliothek (Linde Beer, Bärbel Korsten):
Eine Spendenaktion auf dem Weihnachtsmarkt erbrachte 743 € für den Ankauf neuer Bücher. Inzwischen sind über 600 Bücher im PC-Programm „Biblio“ erfasst und stehen u. a. für Schülerseminare zur Verfügung (Zeitraum Weimarer Republik bis Frankfurter Auschwitzprozesse)
· Allgemeine historische Darstellungen und Geschichte
· Minderheiten in Deutschland
· Innenpolitik im NS-Staat
· Die NS-Zeit betreffende Belletristik: Erzählungen,(Auto-)Biographien, Tagebücher, Kinder– und Jugendbücher
· Der Repressionsapparat und seine Verbrechen
· Verfolgte und Widerstand
· Auseinandersetzung mit dem NS vor 1933 und nach 1945
Im Nächsten Schritt müssen die Zusammenarbeit mit der Städtischen Bücherei und die Modalitäten der Ausleihe geklärt werden.

c) „Arbeitsgruppe Technik“ (Holger Korsten, Wolfgang Schiele, Pitt Adler, Manfred Pauschinger):
„Haus der 1000 Namen“: Entgegen unseren Erwartungen konnte der von Johannes Kares vorgelegte Entwurf für die Ergänzung der Namenswand durch ein „Haus der 1000 Namen“ in diesem Jahr nicht in Angriff genommen werden, da der erwartete Zuschuss durch die EU ausblieb. Die vorläufige Zustimmung zum Projekt durch die Stadt liegt vor. Es soll erneut ein Antrag in Brüssel gestellt werden.

4. Kontakte mit ehemaligen Häftlingen und deren Angehörigen
a) Wie jedes Jahr erhielten alle noch lebenden ehemaligen Häftlinge wie alle Familien ehemaliger Häftlinge, mit denen wir irgendwann Kontakt hatten, einen von Holger Korsten gestalteten Weihnachts- und Neujahrsgruß, der von Irmtraud Klein versandfertig gemacht wurde. Als Echo erhielten wir eine fast gleich große Zahl an Antworten aus aller Welt.
b) Am Samstag, 16. April 2011, fand in der Blosenbergkirche ein von der Blosenbergkirchengemeinde in Verbindung mit der KZ-Gedenkstätteninitiative ausgerichteter Empfang des ehemaligen Leonberger KZ-Häftlings Riccardo Goruppi zusammen mit seinem Sohn Roberto Goruppi, der Schwiegertochter Damiana Goruppi und Herrn Sergio D'Este statt. Die Gäste übergaben ein von Roberto Goruppi im Gedenken an seinen in Leonberg verstorbenen Großvater Edoardo Goruppi geschaffenes Kruzifix. Die Skulptur fand seinen Platz im Vorraum der Blosenbergkirche neben dem von Hermann Kromer geschaffenen Schrein für das Totengedenkbuch. Im Anschluss an die Übergabe stand Riccardo Goruppi zu einem Gespräch über seine Erinnerung an die dreieinhalb Monate im KZ Leonberg zur Verfügung. Nachdem die meisten der ehemaligen KZ-Häftlinge, mit denen wir Kontakt hatten, nicht mehr am Leben oder nicht mehr reisefähig sind, bot sich so die ganz seltene Gelegenheit, noch einmal einen Zeitzeugen des KZ-Geschehens in Leonberg zu hören.
Sergio D’Este kam zum ersten Mal zu Besuch nach Leonberg. Sein Vater überlebte wie Riccardo Goruppi das Lager und den Todesmarsch. Beider Namen stehen auf unserer Namenswand vor dem alten Engelbergtunnel.

5. Weitere Veranstaltungen im zweiten Halbjahr 2011
a) Am 11. September, dem „Tag des offenen Denkmals“ fand traditionell ab 11 Uhr ein Informationsvortrag zur Geschichte des KZ Leonberg mit anschließendem Film „Überlebende des KZ Leonberg“ durch Renate Stäbler und Irmtraud Klein in unserem Raum im Samariterstift statt. Am Nachmittag schloss sich eine Führung in der Tunell-Ausstellung an. Dieses Veranstaltungspaket gehört erfahrungsgemäß zu unseren best besuchten Angeboten.
b) Am 18. Oktober stellte die Ini zusammen mit dem Gemeindeverein Warmbronn bei einer überaus gut besuchten Lesung eine neue, von uns herausgegebene Publikation vor: „Lene Kessler: Wie ich überlebte. Ein Rückblick nach fast siebzig Jahren“ (48 Seiten). Frau Kessler lebt 90-jährig in Warmbronn, eine Nachbarin von Renate Stäbler. Über sie kam auch der Kontakt zustande. Lene Kessler ist eine Jüdin aus Mähren, die Theresienstadt, Auschwitz und einen Todesmarsch überlebt hat. Eberhard Röhm hat mit ihr zusammen eine kleine Autobiographie von ihr verfasst. Grundlage bildete ein vierstündiges Video-Interview, das die Spielberg-Stiftung in den 90iger-Jahren hergestellt hat, sowie Gespräche anhand von Fotos, die Lene Kessler noch aufbewahrt.

6. Kontinuierliche Bildungsarbeit
a) Statistik
Es fanden statt
- 43 Führungen auf dem Weg der Erinnerung einschließlich der Tunnelausstellung, davon 22 mit Schulklassen mit 350 Schülern inklusive Lehrer
- 6 Vortragsveranstaltungen
- 6 Einzelberatungen von Schülern jeweils mehrere Stunden
Insgesamt erreichten wir mit unseren Veranstaltungen 1243 Personen, davon etwa 786 Schüler bzw. Jugendliche und 457 Erwachsene.

7. Öffentlichkeitsarbeit
Es wurden im Jahr 2011 sechs Rundbriefe an Mitglieder und Interessenten verschickt.